Brave New Times

Wir leben nun wirklich in anderen Zeiten. Den Großteil meiner Lebenszeit habe ich (und haben viele meiner Leserinnen und Leser) in der analogen Welt verbracht, aber die große Veränderung ist nicht nur der Wechsel ins digitale Zeitalter. Das Denken ist anders geworden, vielleicht sogar das Wahrnehmen und Empfinden gegenüber vielen Dingen wie Zeit, Natur, Miteinander, Lernen, Commitment — um nur einige Stichworte zu nennen. Es geht dabei nicht um besser oder schlechter; definitiv ist heute Vieles besser, individuell und global: mehr Demokratien, Rechte von Minderheiten, der Fall der Berliner Mauer… und doch stimmt auch das Gegenteil: mehr rechte Faschisten an der Macht, mehr Armut, mehr Ungleichheit, Klimakatastrophe, militärische Aufrüstung, zunehmende Einschränkung von Freiheiten, zunehmende Unterdrückung der Rechte von Minderheiten, Kontrolle, Kontrolle … und über die Schattenseiten der Wiedervereinigung können wir dieser Tage auch viel lesen und hören. Obgleich ich persönlich den Fall der Mauer als das größte gewaltfreie Wunder einordne, das ich selbst erlebt habe, und mir viele weitere Mauerfälle wünsche.

Bleibt die Frage, wie wir die Dinge einordnen und beurteilen. Ich empfehle dabei zweierlei: Lernen und fühlen. Dazu gehört denken und erleben. Das Denken kann überall, jederzeit und nur im eigenen Kopf geschehen, das Erleben derzeit nur beschränkt im Außen, aber dafür immer einfacher im digitalen Raum… und ja, ich finde auch, dass das analog alles viel schöner ist, wenn man den Menschen leibhaftig begegnet und alles viel ‚echter‘ scheint. Aber so sind nun mal die Zeiten, also lasst uns die Gelegenheiten nutzen, die sich bieten. Sozusagen Schwerter zu Pflugscharen, Computer zu Lernorten! Wer sich ein eigenes Bild macht von den Realitäten der Welt, die Quellen sorgsam überprüft und unter Zuhilfenahme von Kunst und Kultur verschiedene Perspektiven einnimmt, kann mit Herz und Verstand durchaus zu guten, humanistisch fundierten Urteilen kommen.

Hier sind dazu meine Empfehlungen; zwischendrin gibt es — sogar in diesen Zeiten — mal was ganz, ganz LIVE.

Herzlichst,

KINO:
FRAU STERN

Hier kannst Du den Trailer ansehen: https://youtu.be/plBVPsCLEdQ

Preisgekrönter Spielfilm mit meiner Mutter als lebensmüde und lebenshungrige 90-Jährige
Mittwoch, 30. September, 20 Uhr im alten Kino, Ebersberg
sowie am
Donnerstag, 15. Oktober, 20 Uhr im Kinoclub Filmriss, Lindenberg im Allgäu
Im Anschluss stehe ich an beiden Orten für Fragen zur Verfügung.

ISRAEL/PALÄSTINA:

Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die Komplexität der Dreiecksbeziehung Deutschland – Israel – Palästina:
Die deutsche Kontroverse um BDS: Eine Einordnung

Die School of Unlearning Zionism, ein Zusammenschluss von Menschen in Deutschland aus Israel und Palästina, bietet ein spannendes Online-Programm im Oktober (English). „Unlearning Zionism begins, for us, with the recognition that knowledge is created within systems of power (…)“

Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost hat auf ihrer Website ein Statement abgegeben, das sich gegen die Umbenennung einer Berliner Straße nach Golda Meir ausspricht. Warum wir das tun und welche etwas anderen jüdischen Blickwinkel es sonst noch zum Thema Israel gibt, erfährst Du HIER.

GLOBAL:

In der Wochenzeitung der FREITAG interviewt Elsa Koester den Nachhaltigkeitsforscher Felix Ekardt:
„Die größte Gefahr für Arme ist das Klima“

Alles, was Du zu Geflüchteten wissen musst und was Du selbst tun kannst, um Katastrophen wie die von Moria verhindern zu helfen, findest Du auf der Website von PRO ASYL.

LIVE in 2020:

Nicht ganz kosher!
Konzert mit NIRIT & ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH
Freitag, 27. November, 20 Uhr, alter Speicher, Ebersberg
Kartenvorverkauf (Achtung: Zuschauerzahl begrenzt!) ab Anfang Oktober HIER.

WEIHNUKKA
Lesung und Konzert
mit Martin Umbach, Nirit & ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH
Sonntag, 20. Dezember, 16 Uhr, Kloster Seeon


Lesen, sehen, lernen

Der junge israelische Philosophie-Professor Omri Boehm aus New York bringt es in der SZ auf den Punkt: Wer Frieden in Israel will, darf über die Vertreibung der Palästinenser nicht schweigen. Diese begann bereits vor der Staatsgründung, also vor 1948, und ist des Pudels Kern in der ganzen Misere, die wir gemeinhin als „Nahost-Konflikt“ bezeichnen. Sein Beitrag in der Süddeutschen ist unbedingt lesenswert.
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Ebenso lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Text von Ilan Pappe zur Rettung bzw. Vernichtung von Dokumenten über die Nakba, also über eben jene Vertreibung der Palästinenser von 1947/48. In israelischen Archiven werden diese Dokumente in jüngster Zeit entfernt, versteckt oder vernichtet, um das palästinensische Narrativ zu delegitimieren. „Die Dokumente“, so Pappe, „sind wichtig, weil sie den systematischen Charakter der ethnischen Säuberung Palästinas von 1948 sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung offenbaren.
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Unbedingt sehenswert ist auch der Film BROKEN von Mohammed Alatar. Es geht dabei um den Prozess am Internationalen Gerichtshof, der den Bau der israelischen Separationsmauer für illegal befand.

Durch Klicken auf den Link gelangst Du zu dem Film auf Vimeo (kostenfrei)

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Der Nahostreferent von medico international Riad Othman hat einen Kommentar zur geplanten Annexion geschrieben, der die Hintergründe gut beleuchtet. Ebenfalls lesenswert.
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Wenn Du mal so richtig tief einsteigen willst in die Thematik, und wenn Du Dich fragst, was das Thema Israel/Palästina mit Kolonialismus zu tun hat, dann empfehle ich Dir diesen langen Aufsatz von Rolf Verleger. Hier bekommst Du einen fundierten Einblick in die Geschichte des sogenannten Nahost-Konflikts und seiner Ursprünge.
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Zu guter Letzt: Ab dem 10. September 2020 findet – virtuell – ein Weltfrieden-Kongress statt. Es gibt Gespräche mit Menschen, die zu ihren jeweiligen Themengebieten dem Initiator und Moderator dieses virtuellen Kongresses, Helmut Käss, Rede und Antwort stehen. Alle Interviews sind kostenfrei zugänglich und werden ab dem 10. September nach und nach online geschaltet.
Die Aufzeichnung meines Interviews wird ab dem 14.09., 16 Uhr freigeschaltet. Programm, Teilnehmende, das Gesamtpaket zu kaufen und alle weiteren Infos HIER.
Das Programmheft mit Infos zu allen einzelnen Sprecher*innen findest Du in diesem Kongress-Handbuch:

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„Einsicht in einen politischen Sachverhalt heißt nichts anderes, als die größtmögliche Übersicht über die möglichen Standorte und Standpunkte, aus denen der Sachverhalt gesehen und von denen her er beurteilt werden kann, zu gewinnen und präsent zu haben.“
Hannah Arendt