Wie Besatzer denken


Neulich konnte ich an einer höchst spannenden Konferenz teilnehmen, in der die Professoren Ilan Pappe, Nurit Peled-Elhanan und Haim Bresheeth jeweils einen sehr spannenden Vortrag zu ihren Fachgebieten Geschichte, Pädagogik und die Rolle des Militärs in Israel hielten. Es ging darum, psychologisch-politische Einsichten zu gewinnen – so auch der Name der Veranstalter (Psycho-Political Insight). Die Konferenz trug den Titel Israel and Palestine: The Mind of the Occupier and Dissident Israeli Voices.

Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig zu begreifen, wie Israelis denken, wie sie erzogen und sozialisiert werden, um zu verstehen, wie die israelische Gesellschaft im Allgemeinen denkt und handelt. Dieses Verständnis hilft zu erklären, warum es höchst unwahrscheinlich ist, dass aus der israelischen Zivilgesellschaft heraus ein Wandel der politischen Verhältnisse kommen wird.
Nun ist der Link zur gesamten Konferenz endlich freigegeben worden. Wer keine drei Stunden Zeit aufbringen kann und will: Hier geht es direkt zum Beitrag von Ilan Pappe, hier zum Beitrag von Nurit Peled-Elhanan und hier zu dem von Haim Bresheeth.
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Diese Woche habe ich dem Online-Portal Die Freiheitsliebe dieses Interview gegeben:

Sehr erfreulich sind aktuell die Aktivitäten von Palästina Spricht, also von jungen palästinensischen Menschen in ganz Deutschland, die durch Informations- und Aufklärungsveranstaltungen auf die Situation ihrer Landsleute aufmerksam machen wollen. Am heutigen Freitag Abend von 17-20 Uhr sprechen sie in einer öffentlichen Zoom-Veranstaltung darüber, wie, wo und warum in Deutschland permanent versucht wird, die öffentliche Solidarisierung mit Palästina mithilfe des BDS-Vorwurfs zum Schweigen zu bringen. Omar Barghouti, einer der Mitbegründer der aus der palästinensischen Zivilgesellschaft heraus entstandenen Boykott-Bewegung BDS, wird als Sprecher an der Konferenz aus Palästina hinzugeschaltet. Wenn Du also aus erster Hand erfahren möchtest, wofür BDS steht und was Palästinenser mit der Boykottbewegung bezwecken, solltest Du heute online teilnehmen! Mit diesem Link kannst Du Dich anmelden.

Da auch ich seit einigen Jahren permanent mit dem BDS-Label bedacht werde (ungeachtet dessen, dass ich Israel regelmäßig bereise und sogar noch Leute dorthin mitbringe), habe ich jetzt beschlossen, den Spieß umzudrehen. Ich sage hiermit deutlich, dass ich BDS gut finde, weil durch BDS endlich das ganze Thema Israel-Palästina im Gespräch ist. Man muss sich wahrlich keine Sorgen machen, dass Israel wirtschaftlich oder sonstwie die Luft ausgeht, dazu ist der Staat viel zu gut vernetzt. Man kann sich vielfach davon überzeugen, dass der Aufruf zum Boykott israelischer Produkte oder Leistungen nicht per se antisemitisch ist — das haben Hunderte jüdischer und israelischer Wissenschaftler und Künstler vielfach bescheinigt, das ist u.a. in der Jerusalem Deklaration on Antisemitism nachzulesen. Zudem hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages bezüglich des BDS-Beschlusses festgestellt:

Der Beschluss stellt eine politische Meinungsäußerung im Rahmen einer kontroversen Debatte dar. (…) Ein Nutzungsausschluss von BDS-nahen Personen oder Gruppen allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen ist daher mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar.28 Insbesondere stellt auch der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019 – wie oben dargelegt – keine Grundlage dar, die eine solche Einschränkung rechtfertigen könnte.

Quelle: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (die 6 Seiten sind schnell gelesen und leicht verständlich)

Unangenehm ist Boykott schon, davon kann ich ein Lied singen. Was der BDS-Kampagne aber gelungen ist (bisher ohne mein aktives Zutun, das gebe ich zu), ist dass endlich mit größerer öffentlicher Aufmerksamkeit darüber gesprochen wird, welches Unrecht den Palästinensern zwischen Mittelmeer und Jordan durch Besatzungspolitik geschieht. Jüngstes Beispiel ist die Entscheidung der Eiscreme-Herstellerfirma Ben & Jerry’s, die offiziell bekanntgegeben hat, ihre Liefervereinbarung für Eiscreme in die völkerrechtswidrigen jüdischen Siedlungen im besetzten Palästina nicht zu verlängern. Begründung: „Was in den Besetzten Gebieten Palästinas geschieht, ist nicht mit unseren Werten vereinbar.“ Darüber schreibt der Guardian, darüber regt sich die israelische Regierung massiv auf, in den sozialen Netzwerken gehen die Klicks auf den entsprechenden Kanälen gerade durch die Decke. Das Thema hat Aufmerksamkeit, wird debattiert, Menschen fordern andere Unternehmen dazu auf, dem Beispiel von Ben & Jerry’s zu folgen. Eine davon ist Knesset-Mitglied Aida Touma-Sliman:

Der Vertrag von Ben & Jerry’s läuft übrigens erst Ende nächsten Jahres aus. Wir müssen uns also keine Sorgen machen, dass eine Dreiviertel Million Siedler in der Wüste an Eiscrememangel erkranken oder an Süßigkeitenentzug sterben; es wird sich zweifelsohne ein anderer Hersteller finden, der die Lücke füllt. Aber das Thema ist da, ganz klar. Dafür hat die BDS-Bewegung mit ihren Kampagnen gesorgt, und das finde ich gut.

Vielleicht fangen wir jetzt mal an darüber zu sprechen, wie wir weitere Militärgewalt, Kinderverhaftungen, Hauszerstörungen und andere Grausamkeiten verhindern können. Und darüber nachzudenken, wie wir von Europa aus für ein Zusammenleben von Israelis und Palästinensern unter gerechten und menschenwürdigen Bedingungen beitragen können.
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Themenwechsel, aber nicht ganz: Das spannendste Sachbuch über Geschichte, Wissenschaft, die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems und die Transformation der Gesellschaft hat Fabian Scheidler geschrieben (wobei „Sach“Buch zwar richtig ist, aber mit ganz viel Aha und Fühlen).

Ich wünsche Dir Zeit, Ruhe und Aufmerksamkeit für diese fabelhafte Lektüre. Ein Gespräch mit Fabian Scheidler zu seinem Buch findest Du in diesem Video; weitere Interviews zu aktuellen Themen wie Klima und Hochwasser auf seiner Website.

Herzlichst,