„Nie wieder!“, das ist die kürzeste Formel, auf die die Lehren aus dem Holocaust reduziert werden könnte. Gemeint ist: Nie wieder Krieg! Nie wieder Antisemitismus und Rassismus! Nie wieder Ausgrenzung, Erniedrigung, Verachtung, Entrechtung, Verfolgung, Inhaftierung, Folterung anderer Menschen oder einer bestimmten Gruppe von Menschen durch eine andere Gruppe. Ganz gleich, ob die andere Gruppe einer anderen Ethnie, Kultur oder Religion angehört, welche Hautfarbe, Gesinnung oder sexuelle Orientierung sie besitzt. Der deutsche Nationalsozialismus und der grassierende Nationalismus und Faschismus im Europa der 1930er Jahre brachten den Zivilisationsbruch hervor und den Zweiten Weltkrieg, diese unfassbare Katastrophe, brachte neben über sechs Millionen gequälter, verfolgter und ermordeter Juden weitere Millionen gequälter, verfolgter und ermordeter Sinti und Roma, Homosexueller, Antifaschisten und Andersdenkender mit sich. Von den Millionen gequälter und getöteter Soldaten, Zivilisten und Flüchtlingen ganz zu schweigen.
Zwei Jahre nach Kriegsende einigte sich die Menschheit auf die 30 Artikel der Menschenrechte, zudem gibt es das Völkerrecht, das unter anderem das allgemeine Gewaltverbot sowie das Verbot eines Angriffskrieges beinhaltet. Doch wo wird das eingehalten? Welche Staaten halten sich an internationale Vereinbarungen, an Völker- und Menschenrecht? An welches Recht können wir überhaupt noch als Individuen glauben, an welches Recht uns halten, wenn staatliche Gewalt dies fortlaufend nicht tut, wie erst jüngst die gezielte Tötung des Generals Soleimanis zeigt?
In Jerusalem sind dieser Tage Staatsoberhäupter zusammengekommen, um der Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren zu gedenken. Es ist gut, notwendig und gegeben, sich zu erinnern, und ebenso notwendig, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Rede in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, er „wünschte, sagen zu können: Unser Erinnern hat uns gegen das Böse immun gemacht. Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart.“ Ein bemerkenswerter Satz: Meinte er nur die deutsche, oder meinte er auch die israelisch-palästinensische Gegenwart? Dann sprach er von den bösen Geistern, die „ihr autoritäres Denken als (…) neue Lösung für die Probleme unserer Zeit“ präsentieren, und fügte hinzu: „Nein zu Judenhass! Nein zu Menschenhass!“
Sicherlich bezog sich Steinmeier auf Ereignisse in Deutschland, und er tut gut daran, vor rechter rassistischer und antisemitischer Gesinnung hierzulande zu warnen und ihr etwas entgegenzustellen. Auf die Gegenwart in Israel ging er jedoch nicht ein — ebensowenig wie alle anderen Redner der Veranstaltung. Doch wie sieht es mit der Entrechtung, Einsperrung, Erniedrigung von Menschen aus, die sich Palästinenserinnen und Palästinenser nennen und die nur wenige Kilometer von Yad Vashem in Ostjerusalem, der besetzten Westbank oder im abgeriegelten Gazastreifen leben? Besser gesagt, sich im täglichen Kampf um ein halbwegs menschenwürdiges Dasein unter Besatzung bemühen, und das seit bald 53 Jahren?
Die israelische Tageszeitung Haaretz hat einige Artikel zum diesjährigen Gedenktag veröffentlicht, die ich für sehr lesenswert halte. Hier sind sie als PDF abrufbar:
Haaretz Leitartikel: Memories and Lessons
Gideon Levy: Go to Gaza and Cry ‚Never Again‘
Eitay Mack: As Descendant of Auschwitz Victims, I’ve No Interest in the Yad Vashem Laundromat
Hagai El-Ad: Netanyahu Exploits the Holocaust to Brutalize the Palestinians
Hier in Deutschland titelt die Wochenzeitung der Freitag in der Ausgabe o4/2020 ‚Vom Erinnern und Verdrängen‘. Ganz besonders hervorheben möchte ich den Artikel der preisgekrönten israelischen Literatin Dr. Ilana Hammerman mit dem Titel ‚Deutschland macht mich ratlos‘, der im Herbst bereits in Haaretz erschien. Diese israelische Stimme solltest Du Dir unbedingt anhören, wenn Du zum Themenkomplex Israel-Deutschland-Judentum-Palästina-Nahost-Verantwortung-Antisemitismus mitreden oder Dir zumindest eine Meinung bilden möchtest!
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Nun ein paar Veranstaltungshinweise:
Am kommenden Freitag, den 31. Januar, spiele ich bei der Eröffnung der KoPI-Konferenz (Koordinationskreis Palästina Israel) in Berlin mein Programm DAHEIM ENTFREMDET. Mit dabei: Andi Arnold mit seiner Klarinette und meine Tochter Lili, klavierspielend und singend.
Freitag, 31. Januar 2020, 19 Uhr
Refugio, Berlin Neukölln, Lenaustr. 4
Hier der Flyer mit allen Infos zur Konferenz.
Das gleiche Programm DAHEIM ENTFREMDET spielen wir am Mittwoch, den 5. Februar 2020 um 19 Uhr in Bülach bei Zürich, dort mit Jan Eschke am Piano. Alle Infos dazu HIER.
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Vor genau einem Jahr feierte der Film FRAU STERN Premiere beim Max Ophüls Filmpreis in Saarbrücken. Darin spielt meine damals 81-jährige Mutter Ahuva die Titelrolle — die erste und einzige Spielfilmrolle ihres Lebens. Kurz darauf verstarb sie.
Frau Stern findet nach ihrem 90. Geburtstag, sie habe genug gelebt und will sich verabschieden. Doch ihre Enkelin Elli lässt sie im sommerlichen Berlin mit ihren jungen Freundinnen an ihrer Lebensfreude teilhaben. Die poetisch-skurrile Komödie von Regisseur Anatol Schuster und Kameramann Adrian Campean, beide auch Produzenten dieses No-Budget-Films, lief viele Wochen lang in ganz Deutschland in Programmkinos, gewann verschiedene Preise und ist nun für den Preis der deutschen Filmkritik 2019 in den Kategorien ‚Bester Film‘ und Beste Darstellerin‘ nominiert.
Am 8. Februar, Ahuvas erstem Todestag, zeigt das alte kino Ebersberg um 20 Uhr FRAU STERN; ich werde anschließend zum Filmgespräch anwesend sein. Ich habe meine Mutter vor und während der Dreharbeiten intensiv begleitet, kenne die Produzenten gut, habe mit meiner Band einen Großteil der Musik beigesteuert und durfte sogar eine kleine Rolle spielen. Mehr Infos, den Trailer und Karten gibt es HIER.
Ich freue mich auf ein Wiedersehen!
Herzlichst,