Jeden Mittwoch erscheint der UN-Bericht über die humanitäre Situation in Gaza und der Westbank auf Englisch, Hebräisch und Arabisch. Man kann den Newsletter kostenfrei abonnieren. Man kann wissen, was dort passiert. Man bekommt sehr viele Details. Man erfährt konkrete Zahlen und Daten. Man kann mit interaktiven Karten arbeiten. Das sieht dann etwa so aus:
Man kann sich Informationen holen. Man kann wissen, was in Gaza und der Westbank geschieht. Man kann Menschen zuhören, die dort waren.
Wir können es wissen. Unsere Medien, unsere Politiker, unsere Verantwortungsträger, unsere Entscheider, unsere Mitmenschen können es wissen. Es spielt keine Rolle, welche Worte wir dafür verwenden. Fakt ist: Menschen werden bombardiert, verstümmelt, getötet; viele von ihnen Kinder. Menschen — die allermeisten Zivilisten — werden vertrieben, ihre Häuser zerstört. Und ja, es könnte sich auch der eine oder andere “führende” Terrorist unter ihnen befinden. Das rechtfertigt nicht, dass Journalisten, Krankenhäuser, Bäckereien, Zivilisten, Flüchtlinge, Zeltlager, Hilfsorganisationen, Lebensmittelkonvois militärische Ziele sind. Und dass Hunger als Waffe eingesetzt wird, ist verbrecherisch. Wir wissen das. Und was tut Deutschland, was tut die internationale Gemeinschaft bisher dagegen? Fast nichts. Im Gegenteil: Landauf, landab werden wir mit Vorträgen über alle möglichen Formen des Antisemitismus überzogen, manche von uns werden sicherheitshalber gleich mal Antisemitismus-Vorwürfen ausgesetzt, ungeachtet dessen, ob wir selbst Juden sind und zuweilen von Antisemitismus betroffen. Das macht mich wütend. Für die allermeisten Juden, mit denen ich spreche, ist die Frage danach, was antisemitisch ist, höchst einfach zu klären: Wenn jemand etwas gegen uns sagt oder tut, weil wir Juden sind, dann ist das antisemitisch. Jede von uns weiß, wie sich das anfühlt. Kein vernünftiger Mensch kritisiert das militärische und politische Vorgehen Israels, weil der Staat „jüdisch“ ist — ich jedenfalls nicht. Ich kritisiere die Politik des Staates, weil sie weder dem Wohle des israelischen Volke noch dem Wohle der Juden weltweit und natürlich nicht dem Wohle aller Menschen in der Region dient, sondern den „Werten“ und Interessen rechtsradikaler, teils religiös-verbrämter Nationalisten sowie korrupter, teils faschistischer Politiker und anderen Akteuren folgt. Das militärische Vorgehen kritisiere ich logischerweise auch nicht deswegen, weil die Soldaten, Offiziere und Generäle Juden sind — das liegt doch auf der Hand! — sondern weil in diesem Krieg gegen Gaza jede Humanität verlorengegangen ist. Jede. Dagegen müssen wir aufbegehren! Dagegen müssen wir uns aussprechen! Wie lange noch will man sich gerade hier in Deutschland mitschuldig machen an dem, was den Menschen in Gaza gerade geschieht? Oder ändert sich gerade etwas? Immerhin ist in diesen Tagen ein Kommentar wie dieser von der ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann in der Tagesschau möglich.
Der Staat Israel ist im Begriff, Gaza zu vernichten und bald auch die Westbank und alle Palästinenser endgültig ihrer Lebensgrundlage zu berauben. Wer glaubt, dass Israel sich damit seine Existenz sichert, irrt. Israel ist auch im Begriff, sich selbst international ins Abseits zu begeben. Ganz gleich, welche Worte wir dafür verwenden; ganz gleich, wie oft wir den grauenhaften Überfall der Hamas am 7. Oktober erwähnen; ganz gleich, wie oft wir die Rückgabe aller Geiseln fordern; ganz gleich, wie viel Mitgefühl wir für die Opfer von Terror haben und ganz gleich, welche Seite mehr Schuld auf sich geladen hat: Wer in irgend einer fernen, fernen Zukunft ein friedliches Leben für alle Menschen im (gerade nicht sehr) heiligen Land zwischen Mittelmeer und Jordan herbeisehnt, muss sich für ein sofortiges Ende des Krieges, für Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien und für eine Basis an Gerechtigkeit und Selbstbestimmung für das palästinensische Volk einsetzen. Wer das schon für antisemitisch hält, dem ist nicht zu helfen; den kann man nicht mehr ernst nehmen. Dieser Mensch muss sich die Frage gefallen lassen, ob für ihn grundlegende Menschenrechte wirklich für alle Menschen gelten — oder doch nur für manche. Wenn die Frage ehrlich mit „nein“ beantwortet würde, wüssten wir wenigstens, woran wir sind.
Ja, ich bin wütend.
Hier die wichtigsten Punkte aus dem heutigen UNNewsletter, schnell mit Deepl übersetzt:
- Die Blockade, die neuen Vertreibungsbefehle und die anhaltenden Bombardierungen, unter anderem von Zelten, Krankenhäusern und Schulen, führen weiterhin zu einer steigenden Zahl von Opfern, Vertreibungen und extremen Entbehrungen im Gazastreifen.
- In einem Bericht an den Sicherheitsrat über die humanitäre Lage und den Schutz der Mitarbeiter von Hilfsorganisationen im Gazastreifen forderte der Leiter der UN-Hilfsorganisation, Tom Fletcher, entschlossenes Handeln, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern.
- Die Angriffe auf die beiden wichtigsten Krankenhäuser in Khan Younis haben das ohnehin schon dezimierte Gesundheitssystem weiter lahmgelegt, so dass erneut der Schutz der Zivilbevölkerung, einschließlich des medizinischen Personals, und der medizinischen Einrichtungen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht gefordert wird.
- Drei Viertel der Bevölkerung des Gazastreifens werden bei einem realistischen Worst-Case-Szenario einer langwierigen und groß angelegten Militäroperation und der Aufrechterhaltung der vollständigen Blockade voraussichtlich mit einer akuten oder katastrophalen Ernährungsunsicherheit konfrontiert sein.
- Bei diesem Szenario würden die Schlüsselindikatoren für Ernährungsunsicherheit, akute Unterernährung und Sterblichkeit die IPC-Schwellenwerte für eine Hungersnot überschreiten.
- Seit dem 2. März 2025 und in den letzten 74 Tagen haben die israelischen Behörden eine vollständige Blockade des Gazastreifens verhängt, wodurch die humanitären Bemühungen zum Schutz und zur Unterstützung der Zivilbevölkerung durch die Bereitstellung von Gütern nahezu zum Erliegen gekommen sind. Parallel dazu haben die israelischen Streitkräfte seit dem 18. März 2025 die Bombardierung des Gazastreifens aus der Luft, zu Lande und zu Wasser verstärkt und die Bodenoperationen ausgeweitet. Dies hat zu Hunderten von Opfern, zur Zerstörung der zivilen Infrastruktur und zu massiven Vertreibungen geführt. Da es keinen sicheren Zufluchtsort gibt, wurden seit der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten am 18. März und bis zum 13. Mai schätzungsweise 436.000 Menschen erneut vertrieben, so der Site Management Cluster (SMC). Die Menschen sind auf einen immer kleiner werdenden Raum beschränkt. 71 Prozent des Gazastreifens befinden sich seit dem 18. März in israelisch-militarisierten Zonen oder wurden unter Vertreibungsbefehl gestellt. Es wurde von Angriffen auf Wohnhäuser, Zelte für Binnenvertriebene und Krankenhäuser sowie von Sprengungen von Gebäuden berichtet. Es wurde von Kämpfen zwischen israelischen Streitkräften und bewaffneten palästinensischen Gruppen berichtet.
Mehr Infos hier:
https://www.ochaopt.org/content/humanitarian-situation-update-288-gaza-strip
https://www.medico.de/kampagnen/eines-tages-werden-alle-schon-immer-dagegen-gewesen-sein