🌲GUTE WÜNSCHE FÜR BESSERE ZEITEN

Gerade im Freitag über Julian Assange gelesen. Was für ein Skandal! Mitten in Europa hält man einen Journalisten in Isolationshaft und überlegt, ihn in die USA auszuliefern, wo ihm 175 Jahre Haft drohen. Zurecht fragt die Autorin Angela Richter, wieso Journalisten, also Assanges Kolleg*innen, still halten, sich nicht gegen diesen Wahnsinn zur Wehr setzen, sich nicht mit ihm solidarisieren und nicht alles, wirklich alles dran setzen, ihn freizubekommen. In den Köpfen hat sich wohl Assange, der Verräter und Russenfreund, Assange, der Egomane und Narzisst, schlimmer noch: Assange, der Sexist und Vergewaltiger festgesetzt — ungeachtet dessen, dass zumindest dieser Vorwurf fallen gelassen wurde. Aber ist der Ruf erst einmal ruiniert, helfen Fakten und Richtigstellungen in unseren Zeiten nicht mehr viel. Oder war das nicht schon immer so? Hat man nicht immer schon Menschen verachtet und aus der Gesellschaft ausgeschlossen, wenn sie — auch nur vermeintlich! — Fehler gemacht, das Gesetz gebrochen, sich ‚unmoralisch‘ verhalten haben? Ich denke da immer: Der werfe den ersten Stein…

Und dann noch die höchste aller Sünden, wie bei Assange: Die Wahrheit ans Licht bringen, die Schweinereien, die Kriegsverbrechen und andere Rechtsbrüche benennen, die unsere westlichen Regierungen, die ‚Guten‘, tagtäglich begehen! Da werden dann nicht die Schuldigen bestraft oder zumindest der Sache mit Rechtsmitteln nachgegangen, da wird lieber der Entdecker der schlechten Nachricht des Hochverrats bezichtigt. Schon bei den Römern wurde der Übermittler einer schlechten Nachricht mit dem Tode bestraft. Der Mensch scheint sich nicht sonderlich weiter entwickelt zu haben in den vergangenen 2000 Jahren. Bessere technische Mittel hat er jetzt zur Verfügung, um seinen Schwachsinn — Geld- und Macht-geleitet — unters Volk zu bringen. Der Sonderbeauftragte für Folter der Vereinten Nationen, Nils Melzer, sagt dazu: „Ich habe noch nie zuvor erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammen schließt, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so geringer Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu verteufeln und zu missbrauchen.“*
Es gab und gibt verschiedene Möglichkeiten, die eigene Stimme für Assange zu erheben; eine davon ist, diese Petition zu unterschreiben.
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Dieses Jahr hat für mich persönlich mit einem Höhepunkt im Januar begonnen, der Premiere des Films FRAU STERN beim Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, und ging mit einem Tiefpunkt im Februar weiter mit dem Tod meiner Mutter, die die Titelfigur in diesem wunderbaren Film spielte.

Seither habe ich FRAU STERN über ein Dutzend mal bei verschiedener Gelegenheit gesehen, begleitet, besprochen, und bin nach wie vor voller Bewunderung und Dankbarkeit für meine Mutter, die wirklich eine ganz besondere Frau gewesen ist. Auch denke ich immer mit Dankbarkeit an Anatol Schuster (Regie) und Adrian Campean (Kamera), die diesen Film so einzigartig realisiert haben.
Am 8. Februar 2020, an ihrem ersten Todestag, zeigt das alte kino um 20.30 Uhr FRAU STERN, in dem oberbayerischen Städtchen Ebersberg, wo meine Mutter über 40 Jahre lang lebte. Beim anschließenden Filmgespräch werde ich über die Hintergründe erzählen und Fragen beantworten.

Am 12. Januar gibt es wieder einen Workshop Präsenz und Wahrnehmung im Freien MusikZentrum München. Infos und Anmeldung HIER.

Und für ganz Kurzentschlossene: Heute Abend spielen wir zum letzten Mal in diesem Jahr und in voller Besetzung die JIDDISCHE WEIHNACHT im Theater in Wasserburg am Inn. Besonders freue ich mich auf den Gastauftritt meiner Tochter Stella, die — wie bereits bei der Premiere vor 11 Jahren, damals 14-jährig — einen Text von Anne Frank liest. Um 20 Uhr geht’s los, Karten gibt es hier online.

Hinterher sehen wir uns in der Bar HELMUT direkt im Theater und freuen uns auf alle, die mit uns eine bessere, ehrlichere, friedlichere und freudvolle Zukunft feiern!

Diese Wünsche sende ich auch allen, mit denen ich nicht persönlich feiern kann, und freue mich auf weitere Begegnungen im Neuen Jahr!

Herzlichst,

*Quelle: Freitag Nr. 50 vom 12.12.19

Nachtrag zur Buchempfehlung

Heute erreichte mich diese Nachricht von Clemens Ronnefeldt, seines Zeichens Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes:

(…) Beide Bücher habe ich ich Rahmen meiner Sendereihe „Friedensfragen mit Clemens Ronnefeldt“ besprochen — das Buch von Herrn Teltschick zusammen mit dem Journalisten Frank Farenski, das Buch von Michael Lüders mit ihm selbst — auch im Zusammenhang von „Wer den Wind sät“ und „Die den Sturm ernten“. (…)

Ich habe mir die Sendungen zwar noch nicht komplett angesehen, aber sie scheinen sich intensiv mit den Themen der Bücher zu befassen, zeigen zum besseren Verständnis Landkarten und geben differenzierte Einblicke. Hier also die Links zu den Sendungen:

RUSSISCHES ROULETTE von Horst Teltschik:

DAS PULVERFASS NAHER OSTEN (1) mit Michael Lüders:

DAS PULVERFASS NAHER OSTEN (2)

Alle Jahre wieder…

… kommt der Dezember mit seinem Advent, der Vorweihnachtszeit der Christen, und Chanukka, dem jüdischen Winter- und Lichterfest. Assimilierte Juden haben in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts „Weihnukka“ gefeiert; mit Zehntausenden jüdischen Einwanderern ist die Tradition  nach Amerika hinüber geschwappt und dort zu „Christmukka“ mutiert.

Das Jüdische Museum Berlin hatte 2005 die wunderbare Ausstellung WEIHNUKKA gezeigt — hier das Buch zur Ausstellung — , die mich damals inspirierte, unser Programm JIDDISCHE WEIHNACHT zu kreieren. Darin zieht sich die Geschichte meines Großvaters Julius Sommerfeld wie ein roter Faden durch den Abend.

Julius war ein assimilierter Jude, der als Offizier des Kaisers im Ersten Weltkrieg gedient hatte und Jahre später, nachdem er seinen Sohn, meinen Vater Rolf, nach Palästina und andere Verwandte in die Vereinigten Staaten retten konnte, nochmals 1939 in seine Heimatstadt Chemnitz zurück kehrte. Dort wurde er verhaftet, ins KZ Sachsenhausen deportiert und im März 1940 ermordet.
Wie in den vergangenen zehn Jahren spielen wir auch dieses Jahr wieder unsere JIDDISCHE WEIHNACHT, zu der ich Dich herzlich einladen möchte. Solltest Du in der Nähe von Trostberg unweit von Salzburg, im österreichischen Hohenems nahe Bregenz oder in Wasserburg östlich von München sein, freuen wir uns sehr über Deinen Besuch.

JIDDISCHE WEIHNACHT 2019
Freitag, 6. Dezember, 20 Uhr: Postsaal Trostberg
Donnerstag, 12. Dezember, 20 Uhr: Jüdisches Museum Hohenems
Samstag, 21. Dezember, 20 Uhr: Theater Wasserburg

In der JIDDISCHEN WEIHNACHT ist einmal die Rede von ‚Margaretes unnachahmlichem Stollen‘. Meine Großmutter Margarete pflegte alljährlich einen einzigartigen Chemnitzer Stollen zu zaubern. Mein Vater erzählte, sie habe ihn Anfang November schon gebacken, sein Duft habe das ganze Haus erfüllt. Dann legte sie ihn zwischen die Scheiben der Doppelglasfenster, um ihn dort in der Kühle reifen zu lassen, bis im Dezember Eisblumen an den Fensterscheiben wuchsen. Dann erst durfte man ihn anschneiden.
Meine Mutter, die aus Jerusalem stammte und keine Ahnung von Eisblumen, Doppelfenstern oder gar von Weihnachten hatte, sich aber geschworen hatte, meinen Vater sein Leben lang kulinarisch zu verwöhnen, wollte ihm unbedingt die Freude machen und den Stollen seiner Mutter nachbacken. Nach vielen gescheiterten Versuchen — erst war er zu trocken, dann war er „nur ein Rosinenkuchen“, das nächste Mal war er „nicht schwer genug“ — kam mein Vater nach Hause und sagte schon in der Tür: „Heute duftet es wie bei meiner Mutter vor Weihnachten!“. Dieses Rezept hat meine Mutter dann aufgeschrieben, nach diesem Rezept backe auch ich schon seit Jahrzehnten ‚Margaretes unnachahmlichen Stollen‘. Wie ein solcher Stollenbacktag aussieht, habe ich vor ein paar Jahren in diesem Video festgehalten:

Wer’s uns nachmachen möchte: Hier findest Du das Rezept.

Am kommenden Wochenende bin ich zu einer sehr interessanten Zusammenkunft, dem internationalen Friedensratschlag in Kassel eingeladen. Das Leitmotiv heißt ‚Abrüsten statt Aufrüsten‘. Am 7. und 8. Dezember werden viele kluge Leute wie Prof. Werner Ruf, Dr. Margot Käßmann, Prof. Norman Paech und viele andere im Plenum und in Arbeitsgruppen referieren und diskutieren. Was meinen Beitrag betrifft, so freue ich mich sehr, dass zwei junge Menschen von der Deutsch-israelischen Gesellschaft mit mir über ‚Kritik an der israelischen Regierungspolitik und die Antisemitismusdebatte in Deutschland‘ debattieren werden.
Hier findest Du den Flyer mit dem gesamten Programm.

Passend zum Thema sind meine heutigen Buchempfehlungen: In RUSSISCHES ROULETTE (2019) beschreibt Horst Teltschik, welche Chancen nach der ‚Wende‘ nicht zuletzt durch die NATO vertan wurden; er erinnert an die Lehren des Kalten Krieges und fordert eindringlich zu einer neuen Entspannungspolitik auf.
In ARMAGEDDON IM ORIENT (2018) macht Michael Lüders deutlich, welchem Irrsinn wir entgegensteuern, wenn wir der Politik der USA gegenüber dem Iran folgen — und welche katastrophalen Folgen dies nicht nur im Orient, sondern auch bei uns in Europa hätte.
Beide Bücher habe ich mit einer Mischung aus Ungläubigkeit, Entsetzen, teilweise fassungslos gelesen und kann sie allen empfehlen, die gerne hinter die Kulissen der Politik blicken und fundiert begreifen wollen, wie Macht und Interessen zusammen spielen — und welche Konsequenzen das für uns alle hat.

Einen schönen Jahresausklang wünsche ich!
Herzlichst,