Den folgenden Text habe ich als Blog-Beitrag in der „Freitag-Community“ verfasst – als Leserbrief an die Wochenzeitung der Freitag, in dem dieser Artikel erschien. Auch andere Medien wie die Süddeutsche Zeitung (<– hier der Artikel, hier dazu mein Leserbrief) haben sich zur Absage der Veranstaltung geäußert. Das ist gut, aber nicht genug.
Ich hoffe auf eine rege Diskussion und viele weitere Leserbriefe. Empört Euch!
„Kein Gespräch, nirgends“, so titelt Christian Füller seinen Beitrag auf Seite 1 der Wochenzeitung der Freitag zur Absage der Nahost-Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing. Aber warum genau? Jetzt ist mal Zeit für Klartext.
Was für ein prominenter Platz die Absage der Tutzinger Veranstaltung zum Israelisch-Palästinensischen Dialog doch erhalten hat – und wie verhalten die Kritik an dieser Absage ausgefallen ist! Der Leiter der Akademie, Udo Hahn, wird zitiert, man habe nicht genügend Gesprächspartner gefunden. Wie wär’s, einfach mal das Programm, das schon seit Wochen feststeht und veröffentlicht war (!), abzudrucken, um die beachtliche Zahl der Gesprächspartner zu sehen und obendrein zu erkennen, um welche Persönlichkeiten es sich da handelt!
Der Akt der Absage sei „schade, sogar in höchstem Maße ärgerlich“, heißt es weiter. Im Kontext aller anderen, unter dem Druck einiger weniger, aber offensichtlich einflußreicher Personen und Institutionen verhinderten Veranstaltungen sollte man doch eher von einem Skandal sprechen. Denn hier geht es um nichts geringeres als den Versuch, die freie Meinungsäußerung, die offene Debatte zu unterbinden – und zwar ausschließlich und explizit, weil es um israelische Politik geht.
Ganz offensichtlich sollen zum Thema Israelpolitik, israelische Besatzung und Nahostkonflikt auf gar keinen Fall die Stimmen aller Seiten gehört werden. „Die Gründe für die Absage zu eruieren, ist praktisch nicht möglich“, schreibt Füller. Warum nicht? Seit wann können Journalisten nicht recherchieren? Man muss nicht investigativen Journalismus betreiben, um die wenigen Beteiligten auf beiden Seiten ausfindig zu machen: Die einen, die alles daran setzen, israelkritische Veranstaltungen zu verhindern und vor Mitteln wie Verleumdung und falschen Behauptungen nicht Halt machen; und diejenigen, die diesen Verleumdungen ausgesetzt sind und zum Teil sogar in der Ausübung ihres Berufes behindert werden. Zu denen gehöre ich.
Hahn und andere Verantwortliche, etwa aus der Evangelischen Kirche, weigern sich, über ihre Erklärungen hinaus Auskunft über die Absage zu geben, schreibt Füller, und fragt, ob es wohl ein Geheimwissen über die Teilnehmer gebe. Sollte man sich nicht eher die Frage stellen, ob es ein Geheimwissen über diejenigen gibt, die derartigen Druck machen können, um solch eine Veranstaltung kippen zu können?!
Nochmals zum Inhalt: Hier war eine Veranstaltung geplant, die Dialog zum Inhalt hatte. Eine Veranstaltung, bei der Palästinenser und Israelis, die der Gewalt abgeschworen haben, miteinander reden wollten, u.a. Combatants for Peace – Kämpfer beider Seiten, die ihre Waffen gestreckt haben und im gewaltfreien Dialog einen gemeinsamen Weg suchen; sie sind für den Friedensnobelreis nominiert. Außerdem standen auf der Liste der ReferentInnen unter anderen prominenten Namen auch Dr. Moshe Zimmermann, Prof. Dr. Oren Yiftachel oder die Schriftstellerin Lizzie Doron, die ein spannendes Interview im Deutschlandradio über ihre Situation gibt. Sie alle haben ihrer Empörung in einem Schreiben an die Akademie Ausdruck verliehen, das den Veranstaltern zur Veröffentlichung freigegeben wurde.
Wer also hat Interesse, dass solche Dialoge, solche Veranstaltungen nicht stattfinden, und warum? Da ich persönlich betroffen bin, kenne ich sowohl die Personen als auch die Vorgänge genau. Als Künstlerin setze ich mich seit Jahren für Dialog und Völkerverständigung zwischen Israelis und Palästinensern ein und habe das ‚Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung‘ BIB mitbegründet. Solange meine Programme sich vornehmlich mit der deutsch-jüdischen Geschichte auseinander gesetzt haben, solange das Gedenken des Holocaust im Vordergrund stand, war ich selbst in jüdischen Gemeinden und Kreisen wohl gelitten. Mein erstes Programm mit einer syrischen Tänzerin wurde bereits 2003 mit Nichtachtung gestraft. Doch seit ich 2007-09 in Israel gelebt habe und begann, von meinen eigenen (schmerzlichen) Erfahrung in meiner Heimat zu berichten, bin ich in meinen eigenen Kreisen diskreditiert – als Verräterin, als selbst-hassende Jüdin, ja sogar als Antisemitin. Was für ein Schwachsinn!!
Es ist an der Zeit, darüber zu sprechen, warum bestimmte Kreise unter allen Umständen verhindern wollen, dass über Israels menschenverachtende, völkerrechtswidrige Besatzungspolitik hier bei uns offen gesprochen wird. Dass diese Leute Angst haben, dass die Wahrheit über die Besatzungsrealität in all ihrer Hässlichkeit ans Tages licht kommt, ist klar – denn sie wissen genau Bescheid. Warum aber haben diese Leute die Macht, selbst Institutionen wie die Tutzinger Akademie in die Knie zu zwingen? Wer und was steckt dahinter? Als ein Benefizkonzert für Gaza in Gräfelfing bei München verhindert werden sollte, bei dem ich eine kurze Einführungsrede halten sollte, waren es über Hundert Mails, die die Bürgermeisterin erreichten. Mails von beiden Münchner Jüdischen Gemeinden, von einer ‚Schülergruppe gegen Antisemitismus‘, die sich als Fake herausstellte, von Juden aus ganz Deutschland, die fast alle wörtlich den selben Text beinhalteten: „Verhindern Sie diese Antisemitische Israel-Hass-Veranstaltung!“ Eine konzertierte Aktion also – und wie bei all den anderen Boykottversuchen israelkritischer Veranstaltungen nur wenige Tage vor dem geplanten Event in Gang gebracht, damit nur ja nicht genug Zeit für die Veranstalter bleibt, der Sache in Ruhe nachzugehen. Aber mit dem Vorwurf des Antisemitismus, am besten gepaart mit dem Vorwurf, die Akteure seinen BDS-Aktivisten (auch das meist eine Verleumdung), gerät natürlich jeder Veranstalter in Deutschland in Schockstarre und kann ihr nur durch sofortigen Rückzug und Absage entrinnen. Oder durch ‚Verschiebung‘ auf bessere Zeiten – wie in Tutzung geschehen.
Im Gegensatz zu dutzenden anderen abgesagten Veranstaltungen ließen sich die Gräfelfinger Verantwortlichen nicht beirren. Das Konzert fand statt, inklusive meiner Rede und der Verlesung der 30 Artikel der Menschenrechte. Die Zuschauer wussten hinterher, warum die Kritiker dies für so bedrohlich hielten: Viele Menschenrechte werden ausgerechnet in Israel mit Füßen getreten – das will niemand hören. Wir Kritiker übrigens auch nicht; ich jedenfalls will endlich hören, dass Israel sich an das hält, was es zumindest uns Israelis noch vor einigen Jahrzehnten noch versprochen hat.
Eines ist klar: Die Kritik an Israels Politik ist das Gegenteil von Antisemitismus. Die Kritik wird auf lange Sicht verhindern, dass Juden weltweit für die Verbrechen einer nationalistisch-rassistischen Politik verantwortlich gemacht werden. Und auf ganz lange Sicht wird die Kritik und ein entsprechender Umgang mit dem Staat Israel vielleicht sogar dazu führen, dass diesem Staat auf Augenhöhe begegnet wird, dass er gezwungen wird, seine Normen und Werte zu hinterfragen und zu korrigieren. Wenn Deutschland und Europa nicht mehr kritiklos hinnehmen, dass die Enkel und Urenkel der verfolgten europäischen Juden sich über Völker- und Menschenrechte hinwegsetzen, als hätten sie sich Dank der Verbrechen an ihren Vorfahren an keinerlei internationale Vereinbarungen zu halten, dann hat die israelische Bevölkerung vielleicht wieder eine Chance, zur Besinnung zu kommen – und womöglich sogar ihre eigenen jüdischen Werte wieder ernst zu nehmen.