Das böse A-Wort

Der Vorwurf wiegt schwer: Apartheid ist den Meisten aus Südafrika bekannt und mit Trennung von Weißen und Schwarzen assoziiert. Aber der Begriff ist seit 1973 im Völkerrecht klar und allgemein definiert als „unmenschliche Handlungen, die zu dem Zweck begangen werden, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere rassische Gruppe zu errichten und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken“. Das Völkerrecht erklärt Apartheid zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

„Unsere Erkenntnisse und unsere Kritik richten sich nicht an das Jüdische Volk, sondern an den israelischen Staat.“
Philip Luther, Chef-Berater für Forschung und Politik, Amnesty International

Der Bericht, den Amnesty International (AI) am 1. Februar 2022 unter dem Namen „Israel’s Apartheid against Palestinians: Cruel System of Domination and Crime against Humanity“ (Israels Apartheid gegen Palästinenser: Ein grausames System von Herrschaft und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) veröffentlicht hat, ist im Original auf Englisch verfasst. Die israelische Regierung beeilte sich bereits am Tag vor der Veröffentlichung, den Report als „Israel-hassend und antisemitisch“ zu diskreditieren; deutsche Medien und Institutionen folgten ebenfalls mit dem allseits ge- und missbrauchten Antisemitismus-Vorwurf. Nirgendwo konnte ich aber bisher auch nur ein einziges konkretes Argument gegen die Erkenntnisse und gut dokumentierten Fakten der AI-Studie finden. Niemand auf Seiten der Empörten bemühte sich zu erklären, warum wohl eine der größten, ältesten, wichtigsten Menschenrechtsorganisationen, deren Studien gegen Menschenrechtsverbrechen in China, Myanmar, Iran, Ungarn, Ägypten und anderen (ungeliebten) Staaten akzeptiert und zitiert werden, auf einmal von Antisemitismus heimgesucht sein soll. Manche entblöden sich sogar wie hier in der taz, Amnesty polemisch und mit Falschbehauptungen gespickt für tot zu erklären.

Auf Deutsch kann man hier eine gute Zusammenfassung lesen, sowie hier die Reaktion der deutschen Amnesty-Sektion. Wenn Du verstehen willst, worum es Amnesty International geht, ist dieses 15-minütige Erklär-Video sehr zu empfehlen:

Antisemitismus? Apartheid!

Ich finde es wichtig, die Dinge zu kennen, über die man eine Meinung äußert, daher verlinke ich oben die Original-Quellen von AI. Das Geschrei um den vermeintlich antisemitischen Hintergrund des AI-Berichts ist, wie bereits erwähnt, groß. Nichts in dem Bericht deutet jedoch darauf hin, dass irgend etwas darin sich gegen Juden richtet, weil sie Juden sind (das wäre per definitionem antisemitisch). Im Gegenteil: Nach eigenen Aussagen richtet sich die Kritik „…nicht an das Jüdische Volk, sondern an den israelischen Staat.“ AI sprach im Rahmen der Recherchen „mit Vertretern palästinensischer, israelischer und internationaler Nichtregierungsorganisationen (NRO), einschlägiger UN-Organisationen, Juristen, Wissenschaftlern, Journalisten und anderen relevanten Akteuren. Darüber hinaus führte Amnesty International eine umfassende rechtliche Analyse der Situation durch und holte auch den Rat externer Experten für internationales Recht ein.“.

Ein echter Kenner der Situation vor Ort dürfte der ehemalige israelische Richter und Staatsanwalt Michael Benyair sein. Heute erschien sein Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau (unten als PDF). Auch er verwendet das böse A-Wort ‚Apartheid‘ für die Zustände zwischen Mittelmeer und Jordan und ruft die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. Ob auch er in den Augen all jener, die Judenhass bekämpfen wollen, ein niederzubrüllender Antisemit ist? Hierzulande kann man entweder kaum etwas lesen und hören zum AI-Bericht, oder der Report wird von A bis Z harsch zurückgewiesen: vom Auswärtigen Amt, der Bundesregierung, den Antisemitismus-Beauftragten bis hin zu Jüdische Allgemeine, Spiegel, taz, der Tagesschau und dem Zentralrat der Juden, der gar die Rückgabe des Friedensnobelpreises von Amnesty International fordert. Vermutlich folgen sie alle dem Narrativ von Israels Außenminister, demzufolge der Bericht von Lügen gespickt sei, die von Terrororganisationen verbreitet würden. Glaubt von diesen Leuten irgendjemand ernsthaft, dass Hass und Gewalt gegen Juden in Deutschland und der Welt weniger wird, wenn die Gewaltherrschaft Israels gegen die Palästinenser vertuscht wird? Wäre Israel willens, eigenes Unrecht anzuerkennen und aufzuheben, wäre ein erster Schritt in Richtung Frieden und weniger Antisemitismus in der Welt denkbar.

Worum geht es faktisch?

Im vorliegenden Bericht wird der Begriff der Apartheid im Internationalen Recht erklärt, vor allem die Unterdrückung und Herrschaft einer ethnischen Gruppe über eine andere. Dann wird die konkrete staatliche Unterdrückung und Herrschaft seitens Israels über die Palästinenser beschrieben, ebenso die unterschiedlichen Unterdrückungsstrukturen und -mechanismen, denen Palästinenser innerhalb Israels und in den Palästinensischen Besetzten Gebieten (OPT) ausgesetzt sind, sowie gegenüber palästinensischen Flüchtlingen. Weitere Punkte sind u.a. die Verweigerung des Rechts auf gleiche Staatsangehörigkeit und gleichen Status, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit als Mittel zur Kontrolle von Land und Leuten, die Trennung von Familien durch diskriminierende Gesetze, die diskriminierende Zuweisung von enteignetem palästinensischem Land für jüdische Siedlungen, Hauszerstörungen, Administrativhaft, Folter, rechtswidrige Tötungen und schwere Verletzungen — um nur einige der Punkte der Studie zu nennen. Selbstverständlich finden sich im Bericht zahlreiche Quellenangaben.

Was nun, was tun?

Viele der Erkenntnisse haben andere Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder B’tselem auch schon benannt; das Besondere an der AI-Studie ist die Aufforderung an die Weltgemeinschaft, dieses Unrecht nicht mehr hinzunehmen. Mal sehen, wie die Weltgemeinschaft reagiert. Und wie wir uns als Individuen dazu verhalten. Hier kannst Du die AI-Petition Apartheid zerstören, nicht Häuser unterzeichnen.

Herzlichst,