Mut und Wut

Eva Menasse, leuchtender Stern am zeitgenössischen Literatenhimmel —  sprachgewaltig, intelligent, pointiert, sachkundig, geschichtsbewusst — hat in der unseligen Antisemitismusdebatte gerade ein Erdbeben ausgelöst. „Menasse drops a bomb“, wie die Journalisten-Kollegin Emily Dische-Becker treffend twittert: Mit ihrem heute erschienenen Gastbeitrag Die Antisemitismus-Debatte ist eine fehlgeleitete, hysterische Pein (hier als PDF) in der ZEIT beweist Eva Menasse Mut, weil sie die verlogene, absichtlich fehlgeleitete Debatte um die angeblich Israel- oder selbsthassenden Kritiker (und -innen) Israelischer Siedlungspolitik kenntnisreich seziert und Ross und Reiter nennt. Ihre Wut darüber verbirgt sie nicht.

Diese teile ich mit ihr: Ich selbst war nun jahrelang von faktischen Auftrittsverboten betroffen, was auf die BDS-Beschlüsse von München und anderer Städte, schließlich auf den BDS-Beschluss des Bundestages beruhte. Zur Erinnerung: Die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen gegen Israel), eine in Deutschland rein zahlenmäßig marginale Bewegung, die aber immerhin die Diskussion über israelische Siedlungspolitik hierzulande anzufeuern vermochte, wurde (aus meiner Sicht fälschlicherweise) als antisemitisch eingestuft und somit allein eine „Befassung“ mit ihr in öffentlichen Räumen verboten. Dies ist nun am 20.01.2022 vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig höchstrichterlich als verfassungswidrig verurteilt worden. Zu Deutsch und ganz praktisch: Es ist nicht mit unserer Verfassung vereinbar, Menschen wie mir Räume und Redefreiheit zu verweigern, weil man mir eine Nähe (!) zu BDS unterstellt. Ja, allein diese Behauptung hat in den letzten Jahren genügt, um Veranstalter davon abzubringen, mir eine Bühne zu geben. Die Frage, ob ich mich an Boykottmaßnahmen gegen Israel beteilige oder ob ich für Sanktionen werbe, ist dabei nie gestellt worden. Auch nicht die Frage, wie ich mich als Tochter eines Holocaust-Überlebenden, als Enkelin eines im KZ Ermordeten fühle, wenn man mich des Antisemitismus bezichtigt oder auch nur die Nähe dazu andeutet. Zu peinlich wäre ihre Beantwortung gewesen.

Wir gedenken in diesen Tagen der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 77 Jahren, sollten uns aber auch an die Wannsee-Konferenz erinnern, in der vor 80 Jahren die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ besiegelt wurde. Die gesteuerten Denkprozesse, die Angst vor falschen Aussagen, die bereitwillige Anpassung der eigenen Meinung entgegen besseren Wissens und Gewissens und damit die Gleichschaltung aller Instanzen, die im hier verlinkten Spielfilm genauestens beobachtet werden können —  diese Mechanismen sollten uns aufhorchen lassen. Der Blick in die Vergangenheit sollte unseren Blick in die Gegenwart schärfen. Hier kann ich nur Eva Menasse zitieren: 
„Gibt es (kruden, brutalen, lebensgefährlichen) Antisemitismus? Ja, und nicht zu knapp. Er ist, wie aller Hass, dank der asozialen Medien exponentiell gewachsen. (…) Aber nicht nur der vervielfältigte Hass (der direkt zu Verbrechen wie in Kassel, Hanau, Halle führt) explodiert uns unter der Hand, sondern auch ein völlig irregegangener Moralismus aus ähnlich trüb-digitalen Quellen. (…) Beim Kampf gegen strafrechtlich relevanten Antisemitismus hingegen bringt Deutschland bisher kaum den politischen Willen auf, den Herbert Reul, Innenminister von NRW, gegen Kinderpornografie so eindrucksvoll bewies: ordentliche Polizeiarbeit, entschlossene Strafverfolgung, schnelle Prozesse.“
Stattdessen, so Eva Menasse weiter, fiel man über die Initiative Weltoffenheit her und diskreditierte damit die „wichtigsten Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen (Goethe-Institut, Haus der Kulturen der Welt, Moses-Mendelssohn-Zentrum, Wissenschaftskolleg, Zentrum für Antisemitismusforschung, Bundeskulturstiftung und viele mehr), wodurch „keine einzige antisemitische Straftat“ verhindert wurde. Es wird Zeit, dass sich das ändert.

Ändern wird sich nach dem Leipziger Urteil auch, dass Raumverbote für Menschen, die sich kritisch und konstruktiv mit einer Verbesserung der israelischen Politik (und Deutschlands Beitrag dazu) befassen wollen, so wie ich das gerne wieder in öffentlichen Räumen tun würde, der Vergangenheit angehören. 

Oder vielleicht doch nicht? Muss ich, da die populären Akteure im lauten Moralkampf gegen Antisemitismus das Leipziger Urteil „bedauern“ und für einen „Schlag gegen die Demokratie“ halten, mit erneuten juristischen Kniffen rechnen, die uns weiterhin behindern werden? Und darf ich mal nachfragen, ob ich für fünf Jahre entschädigt werde, in denen ich in München und andernorts in Deutschland faktisch von einem Rede- und Auftrittsverbot in öffentlichen Räumen betroffen war? In denen mir als Künstlerin Förderungen verweigert wurden, weil „uns die Hände [auf Grund der BDS-Beschlüsse] gebunden sind“, wie ich nicht selten zu hören bekam? Wird es dafür zumindest eine Entschuldigung geben, wird das irgend jemand bedauern, nachdem das höchste deutsche Gericht in dieser Sache festgestellt hat, dass wir im Widerspruch zum Grundgesetz, Artikel 5, unserer Meinungsfreiheit beraubt wurden? 

Ich bin gespannt. Und freue mich — nein, nicht auf ein (analoges) Wiedersehen, denn Auftritte sind aus bekannten Gründen nicht geplant — diesmal freue ich mich auf Eure (digitalen) Rückmeldungen.

Herzlichst,

Ein Gedanke zu „Mut und Wut“

  1. Sehr geehrte Frau Sommerfeld,

    ebenso wie Ihre Ihnen politisch verbundene Mitstreiterin Eva Menasse liegen Sie empfindlich falsch: Nein, Frau Menasse “has” mitnichten “dropped a bomb”. Ganz im Gegenteil. Was in ihrem aktuellen Zeitartikel vielmehr versucht wurde, war eine erneute hysterische Attacke, gepaart mit vulgärfreudianisch unterminierter Lust an der Verleumdung einer gut begründeten Mehrheitsposition, gegen die klare politische Entscheidung einer demokratischen Gesellschaft und ihres Parlaments, dem offen antisemitischen Lieblingsprojekt des linksidentitären akademischen Milieus, dem BDS, die rote Karte zu zeigen und ihm konsequent die Subventionierung durch die deutsche Gesellschaft zu verwehren. Freilich wird weder Frau Menasses Pamphlet noch ihrem eifrigen Applaus dafür jede Chance auf erfolgt verwehrt bleiben – und dies aus hundertfach dargelegten guten Gründen.

    Dennoch ist es mehr als nur geboten, der im Kontext der eigentlich abgeschlossenen BDS-Debatte von dessen Befürwortern aufgebotenen moralischen Selbstüberhöhung, bei der sich die impertinente Ignoranz für das Recht einer demokratischen Gesellschaft, ihre verfassungsmäßigen roten Linien durch die einmütige Entscheidung ihrer höchsten Entscheidungsgremien, nämlich des Bundestags und der Landesparlamente, zu verteidigen, wie ein roter Faden durchzieht, ein paar nüchterne Fakten entgegenzusetzen.

    Kein Mensch verwehrt Ihnen, als deutscher und israelischer Staatsbürgerin, eine Oppositionshaltung zur Politik der israelischen Regierung einzunehmen – weder privat noch öffentlich. Kein Mensch verwehrt Ihnen, diese Position – und sei sie noch so einseitig und unterkomplex – in Kooperation mit anderen in Wort, Schrift und Videos millionenfach zu verbreiten oder sich für ihre Mitteilung auf einer Bühne privat einen Raum anzumieten und dies massiv privat zu bewerben. Just dies garantiert Ihnen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, nicht mehr – und nicht weniger. Und so zu tun, als sei Ihnen in diesem Kontext eben auch just dies – und nicht mehr – einzuräumen, eine Beschneidung Ihrer demokratischen Rechte, grenzt in gleicher Weise an eine verschwörungsschwangere und mit billiger moralischer Empörung aufgeladene Wirklichkeitsverzerrung, wie sie rechtspopulistische Milieus an den Tag legen.

    Dass der Deutsche Bundestag und in seinem Gefolge das Gros der Landesparlamente wie die Mehrheit der Kommunen mit überwältigender Mehrheit befunden hat, dass es unerträglich ist, wenn unsere öffentlichen Bildungseinrichtungen und Räume als Bühne durch ein aggressives aktivistisches Milieu missbraucht werden, dass unsere Universitäten und Kulturfestivals zu Orten der Exklusion, Diffamierung und Hetze gegen (mehrheitlich jüdische) israelische Staatsbürger, nur weil sie Israelis sind, zu verwandeln fordert, müsste jedem auch nur ansatzweise geschichtsbewussten Menschen eigentlich von selbst verständlich sein. Nicht aber zu akzeptieren, dass in einem Land, in dem das beispiellose Menschheitsverbrechen an den europäischen Juden im Nationalsozialismus sich bereits ab Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts sich durch die blutige Hatz auf jüdische Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle ankündigte, zeigt an sich schon Geschichtsvergessenheit und eine dreiste Missachtung unserer repräsentativen Demokratie. Denn dass dies der rhetorische Verweis auf Ihre individuelle Familiengeschichte nicht mindert, zeigt die deren rhetorischer Verwendung inhärente Missachtung der sehr klaren Stellungnahmen repräsentativer Organe von Juden in Deutschland, wie vor allem dem mehr als 93 000 Menschen vertretenden Zentralrat.

    Noch zynischer aber erweist sich die sowohl in Ihren Stellungnahmen wie dem Artikel von Frau Menasse offen erfolgende Leugnung der gesellschaftlichen Breite des derzeit nachweislich dramatisch eskalierenden Antisemitismus, der eben keineswegs ausschließlich die deutsch-nationalistische Rechte, sondern gleichermaßen extremistische muslimische Milieus, die identitäre Linke wie einen bedenklichen Prozentsatz der gesellschaftlichen Mitte umfasst – wie empirisch klar nachgewiesen wurde (s. u.a. Monika Schwarz-Friesel: Judenhass im Internet. Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl. Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin Leipzig, 2019, ISBN 978-3-95565-328-6 ). Dass erst durch die gesellschaftliche Breite der zunehmenden Bereitschaft, verborgenem antisemitischem Ressentiment öffentlich in verbaler und physischer Gewalt Ausdruck zu verleihen, ein Anwachsen antisemitischer Straftaten auf mehr als 2000 pro Jahr möglich machte, ist eindeutigen empirischen Studien ebenso unzweideutig zu entnehmen wie die eskalierende Wirkung der undifferenzierten vermeintlichen “Israelkritik”, die enthemmten Judenhass eine moralische Legitimation verschafft.

    Wenn, wie in Ihrem sowie Evan Menasses Fall, die Durchsichtigkeit der Theatralik des Werbens für einen Aktivismus, der nichts zur Verbesserung der Lage von Palästinenserinnen und Palästinensern beiträgt, sondern nur zur gesellschaftlichen Verstärkung eines wachsenden offen gezeigten Judenhasses, rhetorisch genau jenes ‘biographische Kapital’ auffährt, das Sie beide sowohl für die überwältigende Mehrheit der Juden in Deutschland wie für die deutsche Mehrheitsgesellschaft für irrelevant erklären, dann liegt hier ein Ausmaß an Bigotterie und Verlogenheit vor, das nur noch sprachlos macht. Wem es in einem solchen Maße im öffentlichen Auftreten an Sachlichkeit, Ehrlichkeit und Anstand fehlt, dem geht es ganz offenbar weder um eine ernsthafte Lösung des Nahostkonflikts noch um die Lage von jüdischen Menschen in Europa, sondern einzig um die eigene narzisstische Selbstbespiegelung als Aktivistin, der zu dienen jede Demokratie sich zu schade sein sollte.

    Mit freundlichen Grüßen

    Anja Böttcher

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