Im jüdischen Kalender nahen die Hohen Feiertage, beginnend am Abend des 25. September — dies ist tagsüber nach dem jüdischen (Mond-)Kalender der 29. Elul (eine gar nicht so schlechte Erklärung dazu gibt’s auf Wikipedia), und ab Sonnenuntergang ist es bereits der 1. Tischri. Ja, unser Kalender geht nach dem Mond, unsere Monate haben andere Namen und ein neuer Tag beginnt nach jüdischer Auffassung in dem Moment, in dem der alte Tag zuende gegangen ist, sprich: unmittelbar nach Sonnenuntergang. Ich finde, das hat durchaus eine Logik, eigentlich mehr als die Festlegung auf eine Uhrzeit, die einfach beliebig auf 24:00 Uhr bestimmt wurde. Zum Beginn des Neuen Jahres tunken wir Äpfel in Honig und wünschen uns Shana tova u’metuka: ein gutes und süßes neues Jahr. Traditionell gibt es in unserer Familie ein großes Festessen, auf dem Tisch stehen Schälchen mit symbolischen Speisen wie ausgelöste Granatapfelkerne oder Sesam, die uns sagen sollen: So unzählig viel Gutes soll uns im kommenden Jahr widerfahren wie Körner in diesen Schüsseln sind. Ein schöner, ein notwendiger Wunsch, in diesem Jahr ganz besonders.
Ob das Neue Jahr, also das Jahr 5783 nach unserer jüdischen Zeitrechnung, nun wirklich im September beginnt oder doch eigentlich im Frühjahr, wie gewisse orthodoxe jüdische Kreise oder auch die Samaritaner aus Nablus behaupten — sie sehen sich als die reinste und seit Jahrtausenden unveränderte, ursprünglichste jüdische Gemeinschaft der Welt und sie leben friedlich mit ihren palästinensischen Nachbarn auf einem der Hügel von Nablus — darüber herrscht innerhalb des Judentums keine Einigkeit, darüber wird sogar trefflich gestritten. Uneinigkeit unter Jüdinnen und Juden herrscht natürlich auch zu anderen Themen, zuvorderst beim Thema des ‚jüdischen‘ Staates Israel und seiner Politik gegenüber den Palästinensern. Leider kommuniziert der Staat Israel in die Welt hinaus, dass er im Namen aller Juden weltweit spricht und agiert, was de facto aber nicht der Fall ist. Darum geben Organisationen wie die US-amerikanische Jewish Voice for Peace oder der deutsche Verein Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, dessen Mitglied ich bin, immer wieder die Parole heraus „Nicht in unserem Namen!“.
Das Judentum ist eine jahrtausendealte Religion mit hohen moralischen und humanistischen Werten und mit Millionen von unterschiedlichsten Interpretationen der alten Texte. Wen wundert’s, dass es da unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen innerhalb jüdischer Kreise auch bezüglich Israel und seiner Politik gibt?! Leider wird das in Deutschland häufig ignoriert. Daher sage auch ich immer wieder: „Nicht in meinem Namen!“ Jüdische Stimmen dürfen divers sein! Ich darf, ich muss mich als israelische Jüdin kritisch zur Politik meines Staates äußern, besonders wenn ich meine (jüdischen und humanistischen) Werte verraten sehe. Am Ende dieses Briefes zeige ich anhand von drei ausgewählten aktuellen Beispielen, warum.
_______________________________________________________________________________
NICHT IN MEINEM NAMEN heißt auch ein Song von Bodo Wartke. Seit 2001 sind wir befreundet — damals waren wir beide Preisträger bei Songs an einem Sommerabend im Kloster Banz. In meinem SHLOMO-GEISTREICH-Programm Nicht ganz kosher! durfte ich seinen Song und eine Szene von ihm, den Götterdialog, einbauen.
Bodo feiert sein 25-jähriges Bühnenjubiläum am 3. Oktober um 19 Uhr im Circus Krone Bau in München. HIER gibt’s noch Karten.
_______________________________________________________________________________
VOM KALTEN FRIEDEN ZUM HEISSEN KRIEG
Auf diese Veranstaltung an Erev Rosh haShana — zu Deutsch: Neujahrsabend — freue ich mich ganz besonders: Allen Bemühungen verschiedener Akteure zum Trotz ist es niemandem gelungen, weder mich noch den Veranstalter ‚Verein Ulmer Weltladen‘ von den Ulmer Friedenswochen auszuschließen. Stattdessen präsentieren wir uns hochkarätig:
Am kommenden Sonntag, den 25. September um 17 Uhr findet im Rahmen der Ulmer Friedenswochen ein Podiumsgespräch mit zwei von mir hochgeschätzten Persönlichkeiten statt: Prof. Norman Paech und Prof. Horst Teltschik werden sich unter dem Titel Vom kalten Frieden zum heißen Krieg zum brisantesten aktuellen Thema austauschen; ich werde das Gespräch moderieren. Beide Herren sind erfahrene Weltpolitik-Kenner; bei aller Unterschiedlichkeit eint sie der unerschütterliche Wunsch nach einer friedlichen Welt. Es ist geplant, die Veranstaltung über meinen YouTube-Kanal live zu streamen.
_______________________________________________________________________________
Hier nun drei Texte zu israelischer und auch deutscher Israel-Politik, die mir in den letzten Tagen besonders aufgefallen sind; ich habe sie mit der Übersetzungssoftware deepl.com übersetzt und nicht redigiert — der Sinn und Inhalt lässt sich auch so leicht erfassen. Darüberhinaus empfehle ich Nahost-Interessierten den BIP-Newsletter zu abonnieren. Dort findest Du immer bestens recherchierte Artikel zu aktuellen Themen und Ereignissen in Israel und Palästina; Nachrichten, die man ansonsten in anderen Medien leider vergeblich sucht.
Hier nun meine Auswahl:
1. Lügen als Strategie, deutsch (englisch in Haaretz vom 14.9.22)
2. Israels Filmindustrie (+972, deutsch und englisch)
3. Zur documenta fifteen habe ich mich ja bereits im vorletzten Blogeintrag geäußert. Hier das Schreiben der beteiligten Künstler; ich kann ihre Frustration, ihre Wut und ihr Gekränktsein vollkommen nachvollziehen. In der ARD gab es diesen Beitrag zur documenta, der immerhin einige sonst selten gehörte Stimmen zu Wort kommen lässt.
_______________________________________________________________________________
Für Schnellentschlossene: Wer heute Abend einer interessanten Diskussion beiwohnen möchte unter dem Titel „Wie weiter in Nahost?“, kann sich beim Gustav-Stresemann-Institut für die Online-Teilnahme anmelden.
Ich freue mich aufs Wiedersehen — am Sonntag um 17 Uhr live in Ulm oder online!
Herzlichst,