Fünf Monate zuviel

Ganze fünf Monate dauert das Gemetzel nun schon an, das am 7. Oktober 2023 mit den unerträglichen Gewalttaten der Hamas begann und noch am selben Tag mit Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Armee beantwortet wurde. Seither haben Abertausende sinnlos ihr Leben verloren, die meisten von ihnen Kinder, darunter Dutzende israelische und Tausende palästinensische. Weit über 100.000 Menschen sind verletzt, für immer verstümmelt, leiden Schmerzen, Tag und Nacht. Über 20.000 Kinder sind Vollwaisen geworden, 1,7 Millionen sind innerhalb Gazas vertrieben. Zehntausende Wohngebäude wurden zerstört, an eine Rückkehr ist am ‚Tag danach‘ nicht zu denken. Man spricht schon von den intensivsten kriegerischen Bombardements der neueren Geschichte. Über 100 Geiseln sind immer noch nicht frei.

Wann wird dieser grausame, sinnentleerte Wahnsinn endlich enden? Was können wir, die wir eine Stimme haben, tun, um der Gewalt Einhalt zu gebieten? Wir streiten uns um Begrifflichkeiten — ist es ein Genozid oder nicht? Wie definiert man Völkermord? Wie viele Tote braucht man, um von einem Massaker zu sprechen? Dabei driften wir mehr und mehr auseinander, bezichtigen uns der Falschmeldungen, müssen uns gegen absurde Vorwürfe verwehren („Warum haben Sie nicht die Opfer der Hamas zuerst erwähnt?“). Es scheint nur noch darum zu gehen, ob Kritik an Israels Militäraktionen antisemitisch ist (nein!), ob Israel das Recht auf Selbstverteidigung hat (ja! Ach, hätte Israel nur seine Bürger am 7. Oktober verteidigt!!) und dass man angeblich ohnehin nichts glauben kann, egal aus welcher Quelle die Information stammt.

Das alles ist mir zu oberflächlich, nicht differenziert genug. Und es geht am eigentlichen Problem vorbei. Dieses ist, dass zwei Völker ein und dasselbe Land beanspruchen. Und niemand über machbare Lösungen für dieses Dilemma spricht. Es gibt viele Ursachen dafür, warum Palästinenser und Israelis dieses Land (noch?!) nicht friedlich miteinander teilen. Darüber und über Vieles mehr werde ich sprechen am kommenden

Mittwoch, den 6. März um 19.30 h
mit Dekan i.R. Hans Dieter Strack
im Evangelischen Gemeindehaus Ebersberg


Hier noch ein Hinweis auf zwei besonders lesens- und sehenswerte Beiträge. Weil sie so persönlich sind. Weil man so sehr die Trauer und die Verzweiflung spürt. Weil man so sehr möchte, dass es endlich aufhört.

Amira Hass, die einzige israelische Journalistin in Ramallah:
Israel and Gaza, a Few Years from Now

Eine Gruppe deutscher Anwälte und Anwältinnen hat am 23. Februar 2024 im Namen von deutsch-palästinensischen Familienangehörigen aus Gaza Strafanzeige gegen Mitglieder des Bundessicherheitsrats erstattet. Hier spricht eine der persönlich betroffenen Anzeigenerstatterinnen, Nora Ragab, auf der Pressekonferenz:


Noch ein letzter Hinweis: Gestern erschien in der Berliner Zeitung mein Artikel Warum Israelis kein Interesse daran haben, den Krieg zu beenden. Bitte generös weiterverbreiten — Danke.

Herzlichst,

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2 Gedanken zu „Fünf Monate zuviel“

  1. In dem von Südafrika beim Internationalen Gerichtshof wegen der Hungerkatastrophe neu eingereichten Eil-Antrag ist mir etwas aufgefallen, was man leicht übersehen könnte: Israel soll über die Umsetzung der angeordneten Maßnahmen einen ÖFFENTLICHEN BERICHT („open report“) vorlegen. Denn was in dem letzte Woche abgelieferten steht, ist ja unbekannt und scheut das Tageslicht … Aber auch der wird spätestens in der Hauptverhandlung noch auf den Tisch kommen und dann den realen Tathandlungen gegenüber gestellt werden.

  2. Beim Thema „Begrifflichkeiten“ ist vielleicht das Schockierndste, in welchem Sinn heute das Wort „menschliche Schutzschilde“ gebraucht wird.
    Nämlich im Sinn von: Das Leben desjenigen ist noch viel weniger wert, als das des Täters. Einfach nur ein ärgerliches Hindernis. Muss aus dem Weg geräumt werden, egal wie.

    Wie lange leben Sie eigentlich schon hier in Deutschland, Frau Sommerfeld?
    Ich bin Deutsche. Und 45 Jahre alt. D.h. ich erinnere mich noch an die 1990er, als es gelegentlich Banküberfälle mit Geiselnahmen gab. Sogar Verhaltenstipps bei Geiselnahmen gab es. Heutzutage ausgestorben, gegen eine Automatensprengung ist der Aufwand viel zu hoch.
    Damals stand bei allen Polizeiaktionen das Leben von Geiseln und von unbeteiligten Passanten an oberster Stelle. Was immer die Polizei tat, die oberste Regel war, niemals Geiseln oder unbeteiligte Passanten zu gefährden.
    Okay, es gab die Sache mit Gladbeck. Aber als anschließend zwei Geiseln tot waren, war das noch ein riesiger Skandal. Polizeidienstvorschriften wurden umgehend verschärft.

    Das waren noch zivilisierte Zeiten.

    Übertragen auf einen Banküberfall der 1990er wäre dieses Gemetzel etwa:
    Das Panzerbataillon 363 der Bundeswehr fährt mit ein paar Leoparden vor der Bank vor und macht die Bank und alle Nachbarhäuser samt lebendem Inhalt platt.
    Geiseln? Anwohner? Passanten? Das waren lebende Schutzschilde!

    Und zu ihrem vorherigen Artikel, wo die Kommentarfunktion geschlossen ist, ein Gedanke:
    Bei jedem Friedensprozess, der auf sich hält, ist der Aufbau von Zivilkontakten ein entscheidender, wenn nicht DER entscheidende Faktor. Siehe Nordirland.
    Palästina hat man hinter einer hohen Mauer versteckt.
    Und allen außer den Palästinensern war das auch recht so. Nur mit einer starken internationalen Unterstützung hätte der Frieden wohl eine Chance gehabt. Aber niemand wollte den Aufbau von menschlichen Kontakten zwischen Israelis und Palästinensern unterstützen.
    Auch keine deutsche Regierung. Jede deutsche Regierung hat sich die größte Mühe gegeben, Palästinenser möglichst unsichtbar zu machen.

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