Minister, die sich offen rassistisch äußern, eine Regierung, die kurz davor ist, die Demokratie abzuschaffen, ein israelisches Volk, das für seine alten Privilegien protestiert und ein palästinensisches, das täglich mehr Rechte und Freiheiten verliert — mein stets nach Israel-Palästina gewandter Blick ist getrübt von Trauer und Entsetzen. Seit Jahren warne ich vor der Faschisierung der israelischen Gesellschaft und Regierung; übelste Vorwürfe musste ich deswegen einstecken, vor allem aus meiner jüdischen Bubble. Die Realität hat mich überholt; ich wage kaum auszusprechen, welche Katastrophe ich in horrenden Visionen eines blutigen Bürgerkrieges antizipiere. Aber es wäre abwendbar, theoretisch. Nicht, dass ich denke, Worte könnten etwas bewirken! Einzelne könnten etwas bewirken, Gott bewahre!
Egal, wir werden weiter schreiben, schimpfen, wütend werden, warnen… nur so, weil wir nicht anders können.
Das liegt übrigens bei uns in der Familie. Wer meine Mutter Ahuva sel. A. kannte, weiß, dass sie überall ihre tiefe Stimme erhob, wo immer sie Unrecht witterte. Auch meine Töchter sagen, was sie denken. They walk their talk, wie es im Englischen so schön heißt, und ich bin stolz auf sie. Die eine lebt ein unkonventionelles Leben, macht improvisierte Straßenmusik und schreibt ihren eigenen Blog. Die andere singt und sagt auf großen Bühnen, was sie politisch denkt. Folgerichtig titelt die taz das Interview mit ihr so: Lass mir nicht den Mund verbieten.
Hier ist jede Menge Stoff.
Dr. Muriel Asseburg, Nahost-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, kam durch ein ausführliches Interview bei jung&naiv ins Schussfeld empörungswütiger Israel-Beschützer. Hass gegen Israel, Antisemitismus, sogar mangelnde Fachkenntnis wurden der renommierten Wissenschaftlerin vorgeworfen. Die SZ fasst den skandalösen Vorgang ihrer Diffamierung kurz und präzise zusammen. Wer Zeit hat, sollte sich das Interview geben: Zweieinhalb Stunden lang beantwortet Muriel Asseburg Fragen präzise und mit stoischer Ruhe und Ernsthaftigkeit. Man kann ihr beim Denken und Abwägen zusehen, wie man es aus den Sternstunden des deutschen Fernsehjournalismus bei Günter Gaus erinnert.
Hier ihr aktueller Text zu den Umbrüchen in Israel: Bis zum Äußersten entschlossen.
Muriel Asseburg wurde vom israelischen Botschafter in Berlin Ron Prosor auf Twitter diffamiert und in Tel Aviv auf offener Straße von dem rechtsradikalen Yonathan Shay verfolgt. Einzelfälle? Mitnichten. Israel befindet sich bereits jenseits von rechts, wie der halbstündige ARTE-Beitrag Israel im Griff der Rechten sehr gut beschreibt. Ausgezeichnet auch der Kommentar von Avraham Burg, ehemaliger Knesset-Sprecher, in der Süddeutschen: Seine Botschaft.
Eva Menasse erklärt in der ZEIT, wieso und worüber Juden in Deutschland streiten: Keine Regierung für alle
Auch Yuval Noah Harari ist mit der Spaltung des Judentums beschäftigt, aber anders. Ich bin in Vielem nicht seiner Meinung, etwa wenn er vor der Zerstörung der „blühenden israelischen Demokratie“ spricht (was blüht da? Die verwelkt doch seit Jahrzehnten), oder von Zelensky als „inspirierendsten jüdischen Führer unserer Generation“. Aber sein Aufsatz Kann das Judentum eine messianische Diktatur in Israel überleben? zeigt, wie viele Facetten das Judentum hat und veranschaulicht, wie sehr es in Gefahr ist, sich selbst zu zerstören.
Kannst Du Dir vorstellen, wie es ist, wenn Soldaten Dich und Deine Familie nachts aus dem Schlaf reißen und Deine Wohnung auf den Kopf stellen? Palästinenser erleben dies selten bis ständig — je nachdem, wo sie wohnen. Mohammed Fararja, 42, lebt mit seiner Familie im Flüchtlingslager Deheishe nahe Bethlehem. In diesem Interview erzählt er von dem Überfall auf sein Haus Anfang Juli 2023.
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Danke fürs Lesen, schönen Sonntag noch!
Herzlichst,