None of us are free, if one of us is chained

Juden in aller Welt feiern heute das Pessachfest — die Christen kennen es als ‚Letztes Abendmahl‘. Es wird des Auszugs aus Ägypten gedacht, der Befreiung aus der Sklaverei, der Rettung des jüdischen Volkes mit Gottes Hilfe und dem Zutun einiger anderer wichtiger Akteure wie Moses, der als Findelkind von der Tochter des Pharao aus dem Schilfmeer gerettet wurde. Moses Schwester Mirjam schlug dem Hof vor, deren Mutter als Amme zu beschäftigen, und so wuchs Moses mit der Milch seiner Mutter — als Jude unerkannt und zunächst ohne das Wissen über seine Herkunft — bei den ägyptischen Royals auf. Dieser Umstand verschaffte ihm sowohl königliche Privilegien als auch eine gewisse (transgenerationale?!) Bindung zu seiner Herkunftsfamilie, zu seinem Stamm; jedenfalls setzte er sich in hohem Erwachsenenalter für seine Leute ein und bekniete den Pharao: Let my People go! Er bat und bettelte, er bekniete seinen Adoptivvater und versuchte, ihn ständig mit neuen Argumenten zu überzeugen. Doch jedes Mal, wenn der sich erweichen ließ und Versprechungen machte und es ernst wurde mit der bevorstehenden Befreiung, ließ er seine Soldaten aufmarschieren und sorgte mit brutaler Härte dafür, dass ihm seine billigen Arbeitskräfte erhalten blieben. Moses griff irgendwann zu rabiateren Methoden, um die Freilassung seiner Leute durchzusetzen. Ob es tatsächlich Gott persönlich war, mit dem er immer wieder Unterredungen hatte und der ihm tatkräftig zur Seite stand, oder ob es doch eine Art Guerilla-Untergrund-Geheim-Armee war, die fürchterliche Anschläge auf die Ägyptische Zivilbevölkerung verübte (schließlich waren die jüdischen Männer durch die harte Arbeit am Pyramidenbau besonders stark, abgesehen von jenen, die diese brutalen Zustände gar nicht erst überlebten) — wir werden es nie erfahren. Jedenfalls gab es schreckliche Verluste unter den ägyptischen Zivilisten, was biblisch in den zehn Plagen beschrieben wird.

Besonders grausam fand ich schon als Kind die Geschichte vom Töten der Erstgeborenen, wobei ich ‚Erst‘ mit ‚Neu‘ verwechselte und daher das Bild von niedergemetzelten Neugeborenen vor Augen hatte: ermordete Babys in den Armen ihrer verzweifelten Mütter. Angeblich ging der Todesengel von Haus zu Haus und tötete jeden Erstgeborenen in Ägypten, ganz gleich, ob es die Erstgeborenen im Königshaus oder die der eingekerkerten Verbrecher waren. Sogar die erstgeborenen Tiere wurden nicht verschont. Und damit der Todesengel keinen Fehler macht und versehentlich einen jüdischen Erstgeboreren tötet, gab es das geheime Zeichen, das mit Opferblut an den Türstock gepinselt wurde: Hier musst Du vorüberziehen, hier darfst Du die Schwelle nicht überschreiten! ‚Vorüberziehen‘ oder ‚vorbeigehen‘ ist übrigens im Hebräischen die wörtliche Bedeutung von ‚Pessach‘. Spätestens hier liegt die Vermutung nahe, dass es sich doch um eine Gruppe von gut trainierten Guerillakämpfern gehandelt haben muss, denn ein Gott in Gestalt des Todesengels hätte doch nicht eines so banalen Zeichens am Türrahmen bedurft, nicht wahr? Die jüdischen Untergrund-Jungs, sowas wie eine frühe Palmach-Truppe, waren in dunkler Nacht durchaus auf diesen Hinweis angewiesen.

Nach diesem Gemetzel, dem härtesten der zehn Ausbruchsversuche der Kinder Israels, bei dem auch der Sohn des Pharao ums Leben kam, war dieser so weichgekocht, dass er Moses die Erlaubnis gab, sein Volk aus Ägypten herauszuführen, unter der Bedingung, dass sie sofort verschwinden würden. So blieb ihnen also keine Zeit, Proviant vorzubereiten; der Teig fürs Brot ging nicht auf und blieb ungesäuert, was uns bis zum heutigen Tag die staubtrockene Freude der Mazza beschert hat. Wir essen sie sieben Tage lang zum Gedenken an den Auszug aus Ägypten, an die Befreiung aus der Sklaverei und der vierzigjährigen beschwerlichen Wüstenwanderung.

Für mich ist seit vielen Jahren klar: Die wunderbare, wenn auch leider nicht gewaltfreie Erzählung, dass ein Volk sich aus eigener Kraft und unter Hinnahme vieler Opfer den Weg in die Freiheit bahnt, gilt nicht nur für Juden. Darum feiern wir seit je her mit und für Freundinnen und Freunde in aller Welt, die immer noch für Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen: mit Christen und Muslimen, People of Colour, Lesben und Schwulen, Palästinensern, Atheisten — und natürlich mit Israelis und Juden.

FRIEDEN UND FREIHEIT FÜR ALLE MENSCHEN!

CHAG PESSACH SAMEACH

NON OF US ARE FREE, IF ONE OF US ARE CHAINED!


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