Nicht ganz kosher!

Nicht ganz kosher! — so heißt unser Konzertprogramm, das wir nach langer Pause endlich wieder zu Gehör und Geschau bringen. Was sich hinter diesem Titel verbirgt, wie jiddisch, jüdisch, israelisch und bayerisch dieser Abend wird, das erfährst Du am

Donnerstag, den 2. März 23 um 20.30 Uhr

im alten kino in Ebersberg. Einlass ist um 19.30 Uhr. Wir freuen uns sehr darauf, wieder einige Gäste aus München, Berlin und Jerusalem dabei zu haben — mehr wird allerdings noch nicht verraten. Karten (nicht mehr allzu viele) und alle weiteren Infos gibt es HIER.

ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH: Andi, Nirit, Pit, Günther, Christian — hier in freudiger Erwartung unseres Pianisten Jan und einiger Gäste

Wir freuen uns alle sehr aufs Wiedersehen!
Herzlichst,

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Leider ist dieses Leben nicht nur von freudiger Erwartung geprägt. Ich habe gerade den Verlust eines Freundes zu beklagen, der nicht nur für mich persönlich, sondern für viele politische Wegbegleiter ein unverzichtbarer Mitstreiter war. Er fehlt uns sehr. Hier mein Nachruf, den ich für die Jüdische Stimme geschrieben habe.

Bis zum letzten …

Fassungslos, traurig und wütend sind wir über den Verlust des Hydrogeologen Clemens Messerschmid, der am 8. Februar in seiner geliebten Wahlheimat Palästina, in ‚seiner‘ Stadt Ramallah, verstorben ist. Fassungslos, weil er viel zu jung, viel zu lebendig, viel zu plötzlich und unerwartet gegangen ist; traurig, weil er eine Lücke – nein, einen Krater hinterlässt in unseren Herzen und unseren Hoffnungen, der mit Trost nicht aufzufüllen ist; und wütend, weil wir keine Gelegenheit mehr haben, ihn zu packen, zu schütteln und ihm ins Gewissen zu reden: Achte endlich mehr auf Dich und Deine Gesundheit! Lass Deine Kerze im Kampf für Recht und Gerechtigkeit für die Palästinenser nicht von beiden Seiten abbrennen! Du machst Deine Arbeit ohnehin gewissenhaft, Du musst nicht immer wieder über Deine eigenen Grenzen gehen bis zum letzten Quäntchen Energie, das Dir zur Verfügung steht.

Aber er wäre nicht Clemens Messerschmid – der sturköpfige, aufrechte, kämpferische Wasser-Experte, der überzeugte Kommunist und Marxist, der wissbegierige Analyst, der wahrheitsbesessene Wissenschaftler – wenn er nicht seine Grenzen bis zum Äußersten ausgereizt hätte. An seiner Seite war ein ruhiges Leben nicht denkbar, weder im privaten noch im beruflichen Umfeld. Ihm reichte seine Lebenszeit niemals aus. Wenn er sich eine Meinung gebildet hatte, die immer fundiert war, konnte er darüber trefflich streiten. Er ließ nicht locker, bis alle Argumente durchdiskutiert, analysiert, bis ins letzte Detail beleuchtet und mit penetranter Starrköpfigkeit auf ihren Wahrheitsgehalt hin hinterfragt waren, gerne bis tief in die Nacht hinein bei ein, zwei Gläsern Wein und ungezählten Zigaretten.

„Bis zum letzten Tropfen“ – das war der Titel seines Vortrags, den er seit Jahren im deutschsprachigen Raum vor kleinen und größeren Gruppen hielt. Als ausgewiesener Spezialist in allen Wasserfragen, explizit vertraut mit jeder Facette von Grundwasser, Regenwasser, Wasserverbrauch und vor allem der politischen Dimension der Wassernutzung in Palästina und Israel konnte Clemens Messerschmid wie kein anderer komplizierte Zusammenhänge verständlich erklären. Erst 2022 promovierte er, nachdem er 25 Jahre in Palästina geforscht und gearbeitet hatte. In seine Doktorarbeit flossen Erkenntnisse ein über die Grundwasserneubildung im palästinensischen und israelischen Grundwasserbecken im Westjordanland ein, dem sogenannten Aquifer.

Der wesentliche Kern seiner Arbeit, der eng verknüpft war mit naturwissenschaftlicher Forschung, aber weit über sie hinausging, ist die politische Interpretation seiner Erkenntnisse. Von ihm konnten wir lernen, dass in Ramallah mehr Regen fällt als in Berlin und dass der Wasser-„Mangel“ in Wirklichkeit ein „Wasser-Mythos“ ist. Wir begriffen, warum der Jordan-Fluss in der besetzten palästinensischen Westbank austrocknet, wenn die Wüste auf israelischem Staatsgebiet „zum Blühen“ gebracht wird. Er lieferte uns erweiterte Kenntnisse und Analysen zur Kolonisierung durch Wasser, was bis dato wenig erforscht war; er lehrte uns, wie die Militärbesatzung durch ihren Raub von Wasser das tägliche Leben der Besetzten bestimmte. Er analysierte wissenschaftlich präzise, geradezu mit pedantischer Akribie die systematische Diskriminierung der Palästinenser durch Israels staatlich gelenkte Wasserentnahme und prägte den Begriff der Hydro-Apartheid.

Seine letzte berufliche Herausforderung war ein Projekt in der Westbank im Auftrag der Weltbank, das 2022 begann und das er nun nicht zu Ende bringen konnte. Daneben arbeitete er immer wieder mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen, deren Stipendiat er gewesen war, beriet eine Doktorandin an der Birzeit University bei Ramallah, gab Interviews, schrieb Gutachten, besprach Podcasts und installierte Wassertanks für palästinensische Bauern. Er bot sich stets als solidarischer Unterstützer an, wie etwa im März 2019, als dem Verein Jüdische Stimme der Göttinger Friedenspreis verliehen wurde, was damals im Kontext von Kontokündigung, Diffamierung und Rückzug von Räumen und Geldern zu bundesweiten Protesten führte. Clemens kam eigens nach Göttingen angereist und brachte ein Gedicht mit, das er zu diesem Anlass verfasst hatte. Am liebsten hätte er es selbst bei der Veranstaltung vorgetragen, mit seiner tiefen, kräftigen Stimme, seinem bayerisch-grantlerischen Ton und seinem tiefgründigen, nicht selten sarkastischen Humor, der ihn ebenso auszeichnete wie seine Ernsthaftigkeit und Tiefe, ja auch pedantische Verbissenheit, mit der er berufliche und politische Themen anging.

Clemens war nicht nur der „Wassermann“ oder „Wasserschmid“, wie ihn vor allem seine palästinensischen Freunde und Weggefährten liebevoll nannten, für die er eine leuchtende Leitfigur war. Er war auch ein „Lebeschmid“. Er liebte ausschweifende Gespräche, intellektuellen Austausch und nicht zuletzt gutes Essen – am besten alles in Kombination. Dabei spielte sein großes Lebensthema – Wasser als Grundrecht, als politische Waffe und als Schlüssel zur Gerechtigkeit – in jeder Lebenssituation, in jedem noch so privaten Gespräch eine Rolle. Die Diskriminierung der Palästinenser durch Israels Wasserpolitik, diese so offensichtliche Ungerechtigkeit, machte ihn rasend und trieb ihn an, nicht locker zu lassen und seine politischen Forderungen mithilfe seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse zu untermauern und zu publizieren und sich auch zu anderen Themen der Besatzung zu äußern. Seine palästinensischen Freunde gaben ihm daher den Ehrentitel „deutscher Palästinenser“, aber eigentlich wird ihm das nicht ganz gerecht. Denn Clemens war ein echter Internationalist, dem alles Nationalistische zuwider war. Er pochte auf internationale Solidarität und träumte von einem Land zwischen Mittelmeer und Jordan (und vielleicht auch anderswo), in dem alle Menschen friedlich zusammenleben.

Seine große Liebe für diese Region begann 1997, als er 33-jährig für ein deutsch-palästinensisches Wasserprojekt der GTZ nach Palästina kam. Seine Affinität zu Israel hatte er sicher schon als Sprössling einer gut situierten, kultivierten Intellektuellenfamilie entwickelt, in die er am 5. April 1964 in München hineingeboren wurde. Sie gab ihm ein fundiertes Geschichtsbewusstsein mit und prägte seine tiefe Abscheu gegenüber dem dunklen Kapitel deutscher Nazi-Herrschaft und seiner Implikationen bis in die Gegenwart. Sein Studium begann er in München und setzte es in Aachen fort, wo er zehn Jahre blieb und von dort aus die Welt bereiste. Diese Reisen schärften seinen Blick für Kolonialismus und seine Folgen, für die strukturellen Bedingungen, die zu Armut und Ausbeutung führen, und bestärkten ihn darin, sich für die Ärmsten, die Entrechteten, die Ungehörten einzusetzen. In Palästina führten seine Forschungen zur Wassersituation dazu, dass er ein tiefes Verständnis und Mitgefühl entwickelte für das Unrecht, das den Palästinensern widerfährt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich auf ihre Seite stellte, sich für sie einsetzte – so wie er sich immer mit jenen verbunden fühlte, die unter Unterdrückung und Diskriminierung leiden. Aber er war kein Sozialromantiker: Er kritisierte auch die palästinensische Seite, ihre korrupte Führung und ihre gesellschaftlichen Strukturen.

Am 8. Februar 2023 verstarb Clemens Messerschmid nach einem Herzinfarkt in seiner Wohnung in Ramallah. Er hinterlässt seine 90-jährige Mutter, seine Schwester Dorothee, seine Lebensgefährtin Kerstin und zahllose Freunde, Gefährten, Kollegen, Genossen und Mitstreiter (-innen). Wir vermissen ihn schmerzlich – als Freund, dessen Solidarität und Unterstützung wir uns immer sicher waren; als Experten, der mit inhaltlicher Präzision unbestechlich dem Wasser und der Wahrheit auf der Spur war; als Partner und Genossen, als tief verwurzelten Linken, als kritischen, klaren Geist, der sein Leben bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Flackern seiner ausgehenden Kerze kompromisslos den Unterdrückten widmete und uns damit ein großes Vermächtnis hinterlässt.

Die Urnenbeisetzung findet demnächst in München statt.

Hier einige Links:

Bis zum letzten Tropfen – Vortrag von Dr. Clemens Messerschmid in Wien (2021)

Der ewige Kampf ums Wasser: ARD-Interview von (2017)


Der Wassersektor im Gazastreifen, ein (un)lösbares Problem? (2020)

Interview: Kampf ums Wasser in Palästina (2020)