Falls Ihr soeben eine Mail mit einem uralten Blogpost von 2018 bekommen habt, dann könnt Ihr diese Mail ignorieren und gleich wieder löschen; sie ist irrelevant.
Nachdem ich gestern nach längeren Streitigkeiten zu einer inhaltlich einvernehmlichen Lösung/Einigung bezüglich bestimmter strittiger Begriffe in alten Blogeinträgen gelangt bin, habe ich diese Begriffe geändert bzw. gelöscht. Versehentlich wurde aber bei der Aktualisierung offenbar dieser (geänderte) Blogeintrag als Mail verschickt. Diese Mail ist, wie gesagt, irrelevant, bedeutungslos… Schnee von gestern. Also ab in den Papierkorb damit und Augen auf für die wirklich relevanten Themen der Zukunft.
Heute Abend z.B. kann, wer in der Umgebung von Grafing wohnt, einem Vortrag von Jürgen Rose lauschen. Als Militärexperte legt er seine Sicht zu Ursachen und Lösungsmöglichkeiten des Ukrainekrieges dar. Mittwoch, 19.4., 18.30 h in Grafing b. München, Heckerbräu, Marktplatz 26/ I. OG Vortrag mit anschließender Diskussion
Noch ganz beseelt von dem Konzert, das ich vergangene Woche mit meinem ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH und mit meiner Tochter Lili als Gast im ausverkauften alten kino in Ebersberg gegeben habe, will ich mich heute kurz fassen, jedenfalls kürzer als die letzten Male, bei denen ich mich ausführlich über die Situation in Israel und Palästina ausgelassen habe. Diese gibt nach wie vor Anlass zur Besorgnis, in der Tat jeden Tag ein wenig mehr. Dieser Tage zum Beispiel wurde das Gesetz in Israel ratifiziert, das es praktisch unmöglich macht, den Ministerpräsidenten aus seinem Amt zu entfernen — jedenfalls nicht wegen einer Lapalie wie Korruption. Konkret heißt das: Netanjahu ist ermächtigt, bis auf Weiteres Regierungschef zu bleiben, wenn er nicht schwer erkrankt oder aus einem anderen Grund vollkommen ausfällt.
Die Stimmung in Israel ist aufgeheizt, die Zeiten sind gefährlich. Es könnte zu einer Eskalation, gar zu einem Bürgerkrieg kommen. Vielen Menschen macht es indes Hoffnung, dass seit Wochen Zehntausende Israelis auf die Straße gehen, um gegen diese neuen Gesetze, die sich „Justizreform“ nennen, zu protestieren. Bisher konnte man beobachten, dass diese Menschen vor allem dafür protestieren, dass sie ihre Demokratie, also ihre Privilegien als jüdische Menschen innerhalb Israels beibehalten dürfen. Palästinenser — auch solche mit israelischem Pass — sieht man so gut wie nie auf den Demos. Dem israelischen Magazin +972 zufolge scheint aber unter den säkularen jüdischen Regierungsgegnern die Einsicht zu wachsen, dass es keine Demokratie ohne Gleichheit für alle gibt. Die logische Folge ihrer Proteste müsste daher sein, dass diese Menschen die Belange der Palästinenser — besser noch: die Palästinenser selbst mit ins Boot holen. Sie müssten aber auch bereit sein, ihre eigenen Privilegien ein Stück weit aufzugeben und — was noch schwieriger erscheint — den zionistischen Traum von einer „Jüdischen Demokratie“ begraben. Bisher gibt es leider wenige Anzeichen dafür, dass das geschehen wird, wie der mittlerweile verzweifelt-zynische Gideon Levy in seinem Beitrag in Haaretz kommentiert.
Es wäre daher umso mehr wünschenswert, wenn aus Deutschland zu den Protesten positiv Position bezogen werden würde, wie Charlotte Wiedemann in diesem taz-Artikel fordert. Internationale Medien wie der Guardian, selbst israelische Publikationen wie Haaretz oder das Magazin +972 berichten und stellen hierzu wichtige Fragen; in deutschen Medien habe ich vergeblich danach gesucht.
Wo soll das hinführen, wenn die Positionen und Interessen der jeweiligen Gruppen immer weiter auseinander driften? Wie kann eine Demokratie in einem Land Bestand haben, wenn sie nicht alle Menschen einschließt, die in diesem Land leben? Wie kann Frieden überhaupt nur gedacht werden, wenn nicht die Bedürfnisse aller Beteiligten respektiert und berücksichtigt werden, wenn Geschichte und Trauma der jeweils anderen Seite nicht anerkannt wird? Wie kann, wie soll ein respektvolles Zusammenleben funktionieren, wenn man sich niemals in die Schuhe der Anderen stellt?
Diese und viele weitere Fragen werde ich am kommenden Mittwoch, den 29. März, um 19 Uhr Charlotte Wiedemann im Münchner Gasteig stellen können. Sie wird ihr Buch
vorstellen, über das ich hier im Blog bereits letzten Sommer geschrieben habe. Ich freue mich sehr darauf, diese Veranstaltung zu moderieren und die eine oder den anderen von Euch dort wiederzusehen. Alle Infos dazu HIER.
Herzlichst,
PS: Was hältst Du davon, wenn Du mich bei meiner freiberuflichen, unabhängigen publizistischen Arbeit unterstützt? Wie das bereits mit 3 € monatlich geht, erfährst Du auf meiner STEADY-Seite oder wenn Du auf das Bild unten klickst. Übrigens kann man auch Steady-Mitgliedschaften verschenken.
ALLES SCHEIN ist der Titel eines Songs, den ich vor etwa zehn Jahren geschrieben habe, nachdem ich Israel den Rücken gekehrt hatte und wieder nach Deutschland zurückgezogen bin. In dem Lied hatte ich meine Wut auf die israelische Politik verarbeitet, aber auch die Liebe zu dem Land und die Enttäuschung, die es mir bereitet hatte. Damals schon schrieb ich diese Zeilen an den Staat meiner Geburt:
Du bist zu weit gegangen in deiner Gier nach Macht und Land… Genug ist genug!
Es hat über ein Jahrzehnt und Tausende palästinensische und Dutzende israelische Menschenleben gekostet, bis sich endlich auch in Israel eine kritische Masse von Menschen auf die Straße oder mit Petitionen an die Öffentlichkeit wendet und schreit: Genug ist genug! Scheinbar brauchte es das Pogrom von Huwara mit einem Toten und zahllosen Verletzten und Traumatisierten, bei dem Soldaten tatenlos zusahen, wie gewalttrunkene jüdische Siedler Terror verbreiteten und Panik und Verwüstung hinterließen, um innerhalb Israels, sogar innerhalb des israelischen Militärs und auch international Empörung hervorzurufen. Doch dürfen wir uns nicht täuschen lassen: In die Proteste sind bisher Palästinenser nicht involviert, auch das Thema ‚Besatzung‘ steht bisher noch im Hintergrund. Die Menschen demonstrieren gegen die Abschaffung der Gewaltenteilung, die offiziell „Justizreform“ genannt wird. Sie demonstrieren gegen den Abbau der Demokratie, in der sie, also jüdische Israelis, bislang relativ bequem und privilegiert leben konnten. Ist also alles Schein, was derzeit in Israel geschieht? Mitnichten. Es bewegt sich eine Menge, aber es ist, wie immer, eine komplizierte Gemengelage; mehr dazu am Ende dieses Newsletters.
Den Terror von Huwara allerdings erleben Palästinenser in ihrem Alltag überall in den Besetzten Gebieten seit Jahren und Jahrzehnten — vielleicht nicht in dieser Größenordnung und vor allem nicht mit derartiger medialer Aufmerksamkeit, aber für sie als Individuen in ebendieser Härte und mit schwerwiegenden Folgen. Wir lesen und hören von „Hauszerstörungen“, von „Kollektivstrafe“, „Konflikt“ und „administrativer Haft“ — aber was genau können wir uns darunter vorstellen? Sind hier wirklich zwei gleichberechtigte Parteien in einen „Konflikt“ geraten? Was bedeutet es für eine Familie, wenn sie zusehen muss, wie ihr Zuhause unter einem Bulldozer zermalmt wird? Was geht in Kindern vor, wenn sie dabei ihre verzweifelt schreienden Mütter, Väter und Großmütter beobachten? Ist zu erwarten, dass aus diesen Kindern brave Staatsbürger werden, die ihre Loyalität zeigen gegenüber einer „jüdischen Demokratie“, wie sie vom Staate Israel, mittlerweile in Grundgesetzform gegossen, verlangt wird? Wie sollen Palästinenser darauf reagieren, wenn ihr Leben tagtäglich bestimmt ist von israelischer Kontrolle an Checkpoints, bei der Beschaffung einer Arbeits- oder Reiseerlaubnis? Wenn ihre Häuser, ihre Felder, ihre Olivenhaine zerstört oder geraubt werden? Wenn Dutzende von Gesetzen sie machtlos machen? Wenn sie ständig Angst haben müssen vor nächtlichen Hausdurchsuchungen, vor Verhaftungen durchs israelische Militär, vor Haft ohne Anklage, ohne jegliche Rechte und ohne absehbares Ende? Wie reagiert ein Mensch auf andauernde psychische und physische Gewalt, Bedrohung, Landraub, Zerstörung und Demütigung? Wie würdest Du darauf reagieren?
Ich gebe zu, ich ziehe vor jedem Palästinenser den Hut, der nicht mit Steinen wirft, der nicht ein Messer zückt oder gar zu schlimmeren Gewalttaten bereit ist. Ich ziehe den Hut vor all den Palästinensern, die an Kursen zur gewaltfreien Kommunikation teilnehmen, die in Flüchtlingslagern angeboten werden, wovon ich mich persönlich überzeugen konnte; vor denen, die nach wie vor an ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinenser unter gleichen und gerechten Bedingungen glauben. Ich selbst musste mich schon 2009 aus Israel-Palästina zurückziehen, weil meine Wut und mein Frust über die Ohnmacht, die ich empfunden habe, eine bis dahin ungekannte mächtige Aggression in mir aufsteigen ließ, obwohl ich nur Zaungast war bei meinen häufigen Besuchen in der palästinensischen Westbank, gesegnet mit dem unverdienten Privileg, zufällig den richtigen Pass, die richtige Religion und den richtigen Geburtsort vorweisen zu können. Diese körperlich fühlbare Aggression ließ mich einmal ungewollt meine Hand zur Faust ballen und gegen ein Autodach schlagen — für mich schon eine extrem gewalttätige Übergriffigkeit, nur weil der Autofahrer mich bedrängt hatte. Was hätte ich getan, wenn das Auto ein Militärjeep gewesen wäre und die Soldaten darin mein Kind zum Verhör mitgenommen hätten? Was würde ich tun, wenn aus dem Fahrzeug geschossen würde und dadurch mein Bruder, meine Tante oder ein Bekannter verletzt oder getötet würde? Hätten wir nicht alle Verständnis dafür, wenn Menschen, die derartiger Willkür und Gewalt ausgesetzt sind, sich auch wieder mit Gewalt wehren? Haben wir dieses Verständnis nicht seit über einem Jahr mit den Menschen in der Ukraine bewiesen? Ein Verständnis, das soweit geht, dass selbst die großen „Friedens“parteien nicht zögern, todbringende Waffen zu liefern, um den Unterdrückten beizustehen? Man stelle sich kurz vor, Deutschland würde auch unterdrückten Palästinensern mit Waffenlieferungen zur Seite stehen…
Um es klar zu machen: Das war ein Gedankenspiel. Ich bin dagegen, noch mehr Waffen in der Welt herumzuschicken. Ich wäre dafür, nie wieder welche zu produzieren. Denn jede Waffe, die ihren Zweck erfüllt, tötet und verletzt Menschen. Ich bin gegen Waffen, und ich bin gegen jegliche Form von Gewalt. Das heißt nicht, dass Menschen nicht das Recht hätten, sich zu verteidigen; aber es kommt eben auf die Wahl der Mittel an. Mag sein, dass ich naiv bin, oder, um es mit John Lennon auszudrücken:
You may say, I’m a dreamer, but I’m not the only one
Ich weiß, dass ich nicht allein bin mit dieser Sichtweise — viele meiner Freunde sehen das wie ich. Das ist naiv? Na wenn schon. War Jesus auch naiv, oder Buddha? Einstein, das Genie, war auch naiv, als er sagte: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Ich glaube an das Wunder der Veränderung durch Liebe, Vertrauen, Anerkennung von Schuld und Unrecht, Verzeihen, Demut vor dem Leben, Freundlichkeit. Freiheit. Gerechtigkeit. Zum Glück bin ich nicht Politikerin geworden; es scheint, dass die meisten Menschen dieser Berufsgattung solche Werte nicht durchzusetzen imstande sind. Zum noch größeren Glück habe ich die Kunst an meiner Seite, eine treue Gefährtin, auf die ich immer wieder zurückgreifen kann. Darum lade ich Dich herzlich ein zu meinem nächsten Konzert mit meinem ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH am 23.03.23 im alten kino in Ebersberg. Einen Vorgeschmack bekommst Du hier mit dem Live-Mitschnitt von ALLES SCHEIN aus dem Gasteig von 2019:
Ich freue mich auch sehr über Deine Teilnahme an meinem Präsenz-Workshop am kommenden Sonntag, den 19.03.23 in München. Der ganztägige Kurs ist ohne jede Vorkenntnisse für alle geeignet, die etwas zu sagen, zu singen oder zu performen haben, sei es vor einer Schulklasse, einer Hochzeitsgesellschaft, einer Betriebsversammlung oder auf einer Bühne. Und wir haben einen Tag lang ganz viel Spaß und Freude miteinander! ACHTUNG: Anmeldung nur noch bis Donnerstag Morgen möglich unter 089 – 41 42 47 – 0.
Ich freue mich auf ein Wiedersehen und grüße herzlichst,
Zum Schluss noch meine Auswahl relevanter Artikel zur derzeitigen Situation in Israel und Palästina:
Zum Thema „Stimme erheben“: Roger Waters, ehemals Pink Floyd, hat vor dem UN Sicherheitsrat eine beeindruckende Redegehalten. Auf die Diffamierungen und Ausladungsversuche einiger deutscher Städte und Bürgermeister hat er in klaren Worten auf seiner Website geantwortet.
Ganz besonders möchte ich das SWR2-Radio-Interview mit Dr. Aref Hajjaj hervorheben. Es veranschaulicht durch seine persönlichen Erlebnisse, in welcher Situation Palästinenser sich seit Beginn der Nakba, also seit 1947, befinden.
PS: Dieser Newsletter ist für Dich wie immer kostenfrei; das wird auch so bleiben. Wenn Du meine unabhängige Arbeit gut findest und mich dabei unterstützen möchtest, diese weiterhin unabhängig fortzusetzen, kannst Du mich durch eine Mitgliedschaft bei STEADY bereits mit einem Beitrag von 3 €/Monat unterstützen. Wie das geht, was Du davon hast und wieviel mir das bedeutet, erfährst Du, wenn Du auf das Bild unten klickst. Danke.
Zuerst die schlechte Nachricht: Leider müssen wir krankheitsbedingt unser für morgen geplantes Konzert Nicht ganz kosher! um drei Wochen verschieben. Die gute Nachricht: Wir haben bereits einen Ersatztermin gefunden! Das Konzert mit meinem fabelhaften ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH findet am Donnerstag, den 23. März 2023 um 20.30 Uhr im alten kino Ebersberg statt. Infos und Restkarten gibt es HIER.
Aber nun zu der wirklich schlechten Nachricht. Aus gegebenem Anlass möchte ich ein paar Informationen und Hintergründe zur derzeitigen Gewalteskalation in Palästina und Israel weitergeben. In den gängigen Medien lese ich von „Ausschreitungen“. Unter „Ausschreitungen“ stelle ich mir vor, dass zum Beispiel eine Gruppe von Menschen demonstriert und dann plötzlich einige aus dieser Gruppe ausscheren, im wahrsten Sinne aus-schreiten, vielleicht weil sie wütend sind oder ungehalten, weil etwa ihre Forderungen nicht gehört werden, oder weil sie einfach gewaltbereit sind. Was aber in den vergangenen Tagen in den palästinensischen Städten Nablus und Jenin und zuletzt am vergangenen Sonntag in dem palästinenischen Dorf Huwara geschehen ist, sind geplante Gewaltaktionen seitens der israelischen Armee sowie seitens gewalthungriger, blutdürstiger bewaffneter israelischer Zivilisten, die man gemeinhin als „Siedler“ bezeichnet. Es sind jüdisch-israelische Männer, die auf den umliegenden Hügeln um die palästinensischen Städte und Dörfer herum in illegalen Siedlungen und sogenannten „Außenposten“ leben. Sie ziehen mit Stöcken, Eisenstangen, Sprengstoff, Handgranaten, Brandsätzen und einem schier grenzenlosen Hass auf alles „Arabische“ bewaffnet los, um Angst, Terror und Vernichtung zu verbreiten. Ihr Ziel deckt sich mit dem der israelischen Regierung (und diese Regierung hat keine Scheu mehr, dies klar auszusprechen): Das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan soll „judaisiert“ werden, sprich: Palästinenserfrei.
Als „Auslöser“ für die Eskalation erfahren wir hierzulande (und natürlich auch in israelischen Medien), dass ein palästinensischer „Extremist“ zwei Brüder — beide Siedler aus einem benachbarten Settlement — in einem vorbeifahrenden Auto erschossen hat. Diese Tat ist mit nichts zu entschuldigen; aber es wäre klug, sie verstehen zu wollen. Was war der Auslöser hierfür? Was hat den jungen Schützen zum Extremisten gemacht? Kann es damit zu tun haben, dass Tage zuvor elf Menschen in Nablus getötet und über hundert zum Teil schwer verletzt wurden? Hat der Täter dabei oder bei einer der zahllosen israelischen Razzien, die in den letzten Monaten zu Tausenden von Verhaftungen und weit über 100 getöteten Palästinensern im Westjordanland geführt haben, womöglich einen Freund oder Verwandten verloren? Noch einmal: Eine Bluttat ist unentschuldbar und mit nichts zu rechtfertigen. Aber wer Interesse hat, diese Gewaltspirale zu verstehen und womöglich sogar ihr Ende zu fordern, sollte Ursachen und Folgen verstehen und zu unterscheiden lernen.
Dabei können die folgenden Texte von Riad Othman (Nahostreferent bei medico international) und Chris Whitman (Büroleiter in Israel/Palästina bei medico international) helfen, ebenso Beiträge auf Middle East Eye oder dem israelischen Online-Magazin +972. Von entscheidender Bedeutung ist der Haaretz-Artikel von Gideon Levy, zeigt er doch klar auf, dass der Gewaltausbruch in Huwara durch national-religiöse Siedler ein Geplanter war, ein Pogrom auf Ansage, angeheizt durch Aussagen der rechtsradikalen Politiker Ben Gvir, Smotrich und Ben Zion. Letzterer, Vize-Bürgermeister der „Region Samaria“ (was in Wirklichkeit besetztes palästinensisches Land ist, in dem Ben Zion alias Judah Ari Gross mehr als ein Dutzend illegale Siedlungen vertritt) schrieb auf Twitter: „Die Abschreckung, die verlorengegangen ist, muss jetzt zurückkehren, es gibt keinen Platz für Gnade“ und „Huwara muss heute ausgelöscht werden“. Der israelische Finanzminister Smotrich schenkte diesem Tweet einen ‚Daumen hoch‘. In einem TV-Interview (hier auf Hebräisch) gefragt, warum er dies getan hätte, antwortet er: „Weil ich der Meinung bin, dass das Dorf Huwara ausgelöscht werden muss“. Allerdings erklärt er sich, es müsse durch die Regierung geschehen, nicht durch Bürger, die das Gesetz selbst in die Hand nähmen.
Nun frage ich Dich: Müsste es nicht einen internationalen Aufschrei geben? Werden sich deutsche Minister demnächst mit ihren israelischen Amtskollegen treffen und nach dem obligatorischen Handshake bestenfalls erklären, sie seien „besorgt“ und irgendwas von Zwei-Staaten-Lösung schwadronieren?
Ich bin sehr besorgt. Besorgt um Leib und Leben meiner palästinensischen Freunde, um ihre bare Existenz, aber auch um die Existenz und das Wohlergehen meiner israelischen Freunde und meiner Familie. Was ich bereits vor über einem Jahrzehnt vorausgeahnt habe, scheint sich jetzt zu manifestieren. Wenn es so weiter geht, geht es nicht gut aus. Weder für die Israelis, aber schon gar nicht für die Palästinenser. Es wird Zeit, dass wir auch hierzulande lautstark ein Ende der Besatzung und gleiches Recht für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan fordern.
Mit schmerzendem Herzen,
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Nicht ganz kosher!— so heißt unser Konzertprogramm, das wir nach langer Pause endlich wieder zu Gehör und Geschau bringen. Was sich hinter diesem Titel verbirgt, wie jiddisch, jüdisch, israelisch und bayerisch dieser Abend wird, das erfährst Du am
Donnerstag, den 2. März 23 um 20.30 Uhr
im alten kino in Ebersberg. Einlass ist um 19.30 Uhr. Wir freuen uns sehr darauf, wieder einige Gäste aus München, Berlin und Jerusalem dabei zu haben — mehr wird allerdings noch nicht verraten. Karten (nicht mehr allzu viele) und alle weiteren Infos gibt es HIER.
Wir freuen uns alle sehr aufs Wiedersehen! Herzlichst,
Leider ist dieses Leben nicht nur von freudiger Erwartung geprägt. Ich habe gerade den Verlust eines Freundes zu beklagen, der nicht nur für mich persönlich, sondern für viele politische Wegbegleiter ein unverzichtbarer Mitstreiter war. Er fehlt uns sehr. Hier mein Nachruf, den ich für dieJüdische Stimme geschrieben habe.
Bis zum letzten …
Fassungslos, traurig und wütend sind wir über den Verlust des Hydrogeologen Clemens Messerschmid, der am 8. Februar in seiner geliebten Wahlheimat Palästina, in ‚seiner‘ Stadt Ramallah, verstorben ist. Fassungslos, weil er viel zu jung, viel zu lebendig, viel zu plötzlich und unerwartet gegangen ist; traurig, weil er eine Lücke – nein, einen Krater hinterlässt in unseren Herzen und unseren Hoffnungen, der mit Trost nicht aufzufüllen ist; und wütend, weil wir keine Gelegenheit mehr haben, ihn zu packen, zu schütteln und ihm ins Gewissen zu reden: Achte endlich mehr auf Dich und Deine Gesundheit! Lass Deine Kerze im Kampf für Recht und Gerechtigkeit für die Palästinenser nicht von beiden Seiten abbrennen! Du machst Deine Arbeit ohnehin gewissenhaft, Du musst nicht immer wieder über Deine eigenen Grenzen gehen bis zum letzten Quäntchen Energie, das Dir zur Verfügung steht.
Aber er wäre nicht Clemens Messerschmid – der sturköpfige, aufrechte, kämpferische Wasser-Experte, der überzeugte Kommunist und Marxist, der wissbegierige Analyst, der wahrheitsbesessene Wissenschaftler – wenn er nicht seine Grenzen bis zum Äußersten ausgereizt hätte. An seiner Seite war ein ruhiges Leben nicht denkbar, weder im privaten noch im beruflichen Umfeld. Ihm reichte seine Lebenszeit niemals aus. Wenn er sich eine Meinung gebildet hatte, die immer fundiert war, konnte er darüber trefflich streiten. Er ließ nicht locker, bis alle Argumente durchdiskutiert, analysiert, bis ins letzte Detail beleuchtet und mit penetranter Starrköpfigkeit auf ihren Wahrheitsgehalt hin hinterfragt waren, gerne bis tief in die Nacht hinein bei ein, zwei Gläsern Wein und ungezählten Zigaretten.
„Bis zum letzten Tropfen“ – das war der Titel seines Vortrags, den er seit Jahren im deutschsprachigen Raum vor kleinen und größeren Gruppen hielt. Als ausgewiesener Spezialist in allen Wasserfragen, explizit vertraut mit jeder Facette von Grundwasser, Regenwasser, Wasserverbrauch und vor allem der politischen Dimension der Wassernutzung in Palästina und Israel konnte Clemens Messerschmid wie kein anderer komplizierte Zusammenhänge verständlich erklären. Erst 2022 promovierte er, nachdem er 25 Jahre in Palästina geforscht und gearbeitet hatte. In seine Doktorarbeit flossen Erkenntnisse ein über die Grundwasserneubildung im palästinensischen und israelischen Grundwasserbecken im Westjordanland ein, dem sogenannten Aquifer.
Der wesentliche Kern seiner Arbeit, der eng verknüpft war mit naturwissenschaftlicher Forschung, aber weit über sie hinausging, ist die politische Interpretation seiner Erkenntnisse. Von ihm konnten wir lernen, dass in Ramallah mehr Regen fällt als in Berlin und dass der Wasser-„Mangel“ in Wirklichkeit ein „Wasser-Mythos“ ist. Wir begriffen, warum der Jordan-Fluss in der besetzten palästinensischen Westbank austrocknet, wenn die Wüste auf israelischem Staatsgebiet „zum Blühen“ gebracht wird. Er lieferte uns erweiterte Kenntnisse und Analysen zur Kolonisierung durch Wasser, was bis dato wenig erforscht war; er lehrte uns, wie die Militärbesatzung durch ihren Raub von Wasser das tägliche Leben der Besetzten bestimmte. Er analysierte wissenschaftlich präzise, geradezu mit pedantischer Akribie die systematische Diskriminierung der Palästinenser durch Israels staatlich gelenkte Wasserentnahme und prägte den Begriff der Hydro-Apartheid.
Seine letzte berufliche Herausforderung war ein Projekt in der Westbank im Auftrag der Weltbank, das 2022 begann und das er nun nicht zu Ende bringen konnte. Daneben arbeitete er immer wieder mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen, deren Stipendiat er gewesen war, beriet eine Doktorandin an der Birzeit University bei Ramallah, gab Interviews, schrieb Gutachten, besprach Podcasts und installierte Wassertanks für palästinensische Bauern. Er bot sich stets als solidarischer Unterstützer an, wie etwa im März 2019, als dem Verein Jüdische Stimme der Göttinger Friedenspreis verliehen wurde, was damals im Kontext von Kontokündigung, Diffamierung und Rückzug von Räumen und Geldern zu bundesweiten Protesten führte. Clemens kam eigens nach Göttingen angereist und brachte ein Gedicht mit, das er zu diesem Anlass verfasst hatte. Am liebsten hätte er es selbst bei der Veranstaltung vorgetragen, mit seiner tiefen, kräftigen Stimme, seinem bayerisch-grantlerischen Ton und seinem tiefgründigen, nicht selten sarkastischen Humor, der ihn ebenso auszeichnete wie seine Ernsthaftigkeit und Tiefe, ja auch pedantische Verbissenheit, mit der er berufliche und politische Themen anging.
Clemens war nicht nur der „Wassermann“ oder „Wasserschmid“, wie ihn vor allem seine palästinensischen Freunde und Weggefährten liebevoll nannten, für die er eine leuchtende Leitfigur war. Er war auch ein „Lebeschmid“. Er liebte ausschweifende Gespräche, intellektuellen Austausch und nicht zuletzt gutes Essen – am besten alles in Kombination. Dabei spielte sein großes Lebensthema – Wasser als Grundrecht, als politische Waffe und als Schlüssel zur Gerechtigkeit – in jeder Lebenssituation, in jedem noch so privaten Gespräch eine Rolle. Die Diskriminierung der Palästinenser durch Israels Wasserpolitik, diese so offensichtliche Ungerechtigkeit, machte ihn rasend und trieb ihn an, nicht locker zu lassen und seine politischen Forderungen mithilfe seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse zu untermauern und zu publizieren und sich auch zu anderen Themen der Besatzung zu äußern. Seine palästinensischen Freunde gaben ihm daher den Ehrentitel „deutscher Palästinenser“, aber eigentlich wird ihm das nicht ganz gerecht. Denn Clemens war ein echter Internationalist, dem alles Nationalistische zuwider war. Er pochte auf internationale Solidarität und träumte von einem Land zwischen Mittelmeer und Jordan (und vielleicht auch anderswo), in dem alle Menschen friedlich zusammenleben.
Seine große Liebe für diese Region begann 1997, als er 33-jährig für ein deutsch-palästinensisches Wasserprojekt der GTZ nach Palästina kam. Seine Affinität zu Israel hatte er sicher schon als Sprössling einer gut situierten, kultivierten Intellektuellenfamilie entwickelt, in die er am 5. April 1964 in München hineingeboren wurde. Sie gab ihm ein fundiertes Geschichtsbewusstsein mit und prägte seine tiefe Abscheu gegenüber dem dunklen Kapitel deutscher Nazi-Herrschaft und seiner Implikationen bis in die Gegenwart. Sein Studium begann er in München und setzte es in Aachen fort, wo er zehn Jahre blieb und von dort aus die Welt bereiste. Diese Reisen schärften seinen Blick für Kolonialismus und seine Folgen, für die strukturellen Bedingungen, die zu Armut und Ausbeutung führen, und bestärkten ihn darin, sich für die Ärmsten, die Entrechteten, die Ungehörten einzusetzen. In Palästina führten seine Forschungen zur Wassersituation dazu, dass er ein tiefes Verständnis und Mitgefühl entwickelte für das Unrecht, das den Palästinensern widerfährt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich auf ihre Seite stellte, sich für sie einsetzte – so wie er sich immer mit jenen verbunden fühlte, die unter Unterdrückung und Diskriminierung leiden. Aber er war kein Sozialromantiker: Er kritisierte auch die palästinensische Seite, ihre korrupte Führung und ihre gesellschaftlichen Strukturen.
Am 8. Februar 2023 verstarb Clemens Messerschmid nach einem Herzinfarkt in seiner Wohnung in Ramallah. Er hinterlässt seine 90-jährige Mutter, seine Schwester Dorothee, seine Lebensgefährtin Kerstin und zahllose Freunde, Gefährten, Kollegen, Genossen und Mitstreiter (-innen). Wir vermissen ihn schmerzlich – als Freund, dessen Solidarität und Unterstützung wir uns immer sicher waren; als Experten, der mit inhaltlicher Präzision unbestechlich dem Wasser und der Wahrheit auf der Spur war; als Partner und Genossen, als tief verwurzelten Linken, als kritischen, klaren Geist, der sein Leben bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Flackern seiner ausgehenden Kerze kompromisslos den Unterdrückten widmete und uns damit ein großes Vermächtnis hinterlässt.
Die Urnenbeisetzung findet demnächst in München statt.
Hier einige Links:
Bis zum letzten Tropfen – Vortrag von Dr. Clemens Messerschmid in Wien (2021)
Der ewige Kampf ums Wasser: ARD-Interview von (2017)
Heute ist es nun wirklich so weit, die von mir fälschlicherweise für letzte Woche angekündigte Gesprächsrunde zwischen Charlotte Wiedemann, Bashir Bashir und Amos Goldberg findet heute Abend, 2.2.2023 um 19 Uhr im Potsdamer Einstein-Forum unter der Leitung von Susan Neiman statt. Wer gerade nicht in Potsdam ist, kann per Zoom live dabei sein. Alle Infos dazu findest Du im Link.
Der Diskussion liegt das neueste Buch von Charlotte Wiedemann DEN SCHMERZ DER ANDEREN BEGREIFEN zugrunde. Es ist ein wichtiges Werk, intelligent und tiefschürfend, Denkmuster herausfordernd und überdies von Liebe und Leidenschaft für das Menschliche im Menschen durchtränkt. Die beiden anderen Mitdiskutanten sind eigens für diese Veranstaltung aus Israel angereist. Sie haben 2019 ein umfangreiches Buch mit dem Titel THE HOLOCAUST AND THE NAKBA herausgebracht, in dem sie die beiden sehr unterschiedlichen, aber für beide Seiten zweifellos traumatischen historischen Ereignisse, Holocaust und Nakba, von verschiedenen Seiten beleuchten lassen und in Beziehung zueinander stellen. HIER kannst Du die Einleitung dazu als PDF herunterladen.
Wenn Du also heute Abend Zeit hast, und wenn Du Dich gerade wieder angesichts der grausamen Ereignisse in Israel und Palästina — und leider nicht nur dort — fragst, was es denn braucht, um diesem scheinbar endlosen „Konflikt“, dieser nie enden wollenden Spirale der Gewalt etwas entgegen zu setzen, dann empfehle ich Dir wärmstens, diesem Gespräch heute Abend beizuwohnen. Vielleicht liegt im Begreifen und infoge dessen in der Anerkennung des Schmerzes der Anderen ein Schlüssel zum Umdenken.
Auf zwei weitere Veranstaltungen in eigener Sache möchte ich Dich auch noch hinweisen: Wir spielen unser furioses, energiegeladenes, witziges und zwischendurch auch mal traurig-berührendes Konzertprogramm Nicht ganz kosher! in genau vier Wochen, am Donnerstag, den 2. März 2023 um 20.30 Uhr im alten kino in Ebersberg. Hinter dem Link verbergen sich alle weiteren Infos und der Ticket-Vorverkauf.
Außerdem freue ich mich auf eine ganze Woche El Haddawi Winterschool am Chiemsee, bei der ich als Gastdozentin in Zusammenarbeit mit dem Begründer der Winterschool Ingo Taleb Rashid meinen Beitrag zu Wahrnehmung und Bühnenpräsenz leisten und dabei sicher selbst noch viel lernen und entdecken kann. Wenn Du mitkommen möchtest auf diese Entdeckungsreise, dann melde Dich schnell noch hier an.
Noch etwas: Mein Video Say Their Names — Palästinensische Jugendliche beim Fußballspiel — gibt es jetzt auch in einer Englischen Version:
Bitte teile es weiter. Zur Stunde beklagen wir allein in diesem Jahr bereits 35 getötete Palästinenser und sechs Israelis, darunter sieben palästinensische Kinder und ein Israelisches. Das sind 41 Tote zu viel. (Details zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinensern im wöchentlichen Bericht des Palestinian Center for Human Rights.)
Wenn Dir meine Arbeit gefällt, kannst Du mich durch eine Mitgliedschaft bereits mit einem Beitrag von 3 €/Monat bei STEADY unterstützen. Wie das geht und was Du davon hast, erfährst Du HIER. Danke.
Achtung, der Fehlerteufel hat sich eingeschlichen!
Das heutige Gespräch findet zwar mit Charlotte Wiedemann statt, aber nicht in Potsdam, sondern im medico Haus in Frankfurt! Die Veranstaltung wird live gestreamt über den Youtube-Kanal von medico international. Du kannst also von zuhause aus über diesen Link live dabei sein.
Das Gespräch heute Abend findet nicht mit Bashir Bashir und Amos Goldberg, dafür aber mit Annette Knaut von der Uni Augsburg statt. Ausgangspunkt des Gesprächs ist nach wie vor Charlotte Wiedemanns neues Buch Den Schmerz der Anderen begreifen. Die beiden Frauen werden über den transkulturellen Diskurs als konkrete Utopie miteinander sprechen.
Das andere Gespräch, das ich zuvor (in aller Eile, daher fehlerhaft, sorry!) angekündigt habe, findet am Donnerstag, den 2. Februar um 19 Uhr statt. Ich werde es sicher in meinem nächsten Brief noch einmal anständig ankündigen.
Verzeiht mir bitte diese Unachtsamkeit — natürlich ist es nicht der Fehlerteufel (auch wenn der bekanntlich im Detail steckt und ich nur allzu gerne jemand anderem die Schuld für meine Fehler in die Schuhe schieben würde). Nein, in Wirklichkeit bin ich natürlich selbst und ganz alleine verantwortlich für alles, was ich Euch in meinen Briefen mitteile. Umsomehr freut es mich, dass viele von Euch so aufmerksam lesen und mir gleich Bescheid gegeben haben, dass da was nicht stimmen kann mit der heutigen Ankündigung. Ich lerne daraus, dass a) meine Briefe wahrgenommen werden, und man b) nichts, aber auch gar nichts in allergrößtenr Eile erledigen sollte — nicht mal die Ankündigung eines ganz ganz eiligen Termins. Dabei fällt mir ein Satz von Ernesto Cardenal ein, den ich vor Jahrzehnten gelesen habe:
Wenn Du es eilig hast — gehe langsam!
Ein guter Grund, wieder einmal ein Gedichtband dieses wunderbaren weisen Mannes, der es vom Priester und Revolutionär zum Kulturminister Nicaraguas gebracht hat, in die Hand zu nehmen und in diesen frostig kalten Nächten darin zu blättern. Das ist herzerwärmend und für alle gut, die das Tempo ein wenig herunterfahren wollen. Ich nehme mich selbst beim Wort, versprochen.
Allereiligst: Heute Abend, den 25. Januar 2023, 19 Uhr, gibt es einen Live Stream aus dem Einstein-Forum in Potsdam. Im Gespräch: Charlotte Wiedemann mit zwei Wissenschaftlern aus Israel/Palästina, Bashir Bashir und Amos Goldberg. Die beiden sind Herausgeber des Buches The Holocaust and the Nakba.
Das Gespräch wird auf Englisch stattfinden und von Susan Neiman, Leiterin des Einstein-Forums, moderiert. Alle Infos zu dieser Veranstaltung findest Du auf der Seite des EINSTEIN FORUMS, wo Du Dich unter (–> hier registrieren) zur Teilnahme an dem Zoom-Live-Stream anmelden kannst.
Charlotte Wiedemann hat in ihrem Buch Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis (2022) unter anderem auch über unsere Familie Sommerfeld geschrieben. Das Gespräch zwischen ihr, Bashir und Goldberg sollte im November bereits im Goethe-Institut in Tel Aviv stattfinden, wurde aber kurzfristig abgesagt.
Das heutige Gespräch, in dem es vermutlich um Verständnis, Mitgefühl, den Umgang mit Schuld …, eben den Schmerz der Anderen geht, verspricht hochinteressant und einsichtsreich zu werden. Nicht verpassen!
Bühnenpräsenz, Ausstrahlung, Performance – Fortgeschrittenenkurs Tagesworkshop Für alle, die sich auf einen Auftritt vorbereiten wollen, sei es ein Songwettbewerb, eine Hochzeitsrede oder eine Ansprache beim Neujahrsempfang in Deiner Firma. Mehr Infos unter FreiesMusikzentrum –>Kurse –> Stimme –> Performance Sonntag, 15. Januar 2023, München, Freies Muskizentrum (Anmeldung nur noch bis Mittwoch, 11.1., 16 Uhr möglich!)
El Haddawi International Winterschool Workshopwoche Die von Ingo Taleb Rashid — Tänzer, Choreograf, Regisseur und Sufi-Meister — gegründete Winterschool findet in diesem Jahr zum 22. Mal statt und ich freue mich, erstmals Teil des Dozententeams zu sein. In der besonderen Atmosphäre der Abtei Frauenwörth auf der Fraueninsel am Chiemsee befassen wir uns gemeinsam mit Bewegungskunst, Meditation, Tanz, Performance und Theater. Anmeldung bis zum 27. Januar möglich. So, 19. 2. bis Fr, 24. 2. 2023, Fraueninsel/Chiemsee, Abtei Frauenwörth Alle Infos unter El Haddawi International Winterschool.
Nicht ganz kosher! Konzert mit meinem wunderbaren ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH Persönliche Geschichten zwischen bayerischem Voralpenland, israelischer Negev-Wüste und palästinensischer Westbank; Songs und Balladen aus eigener Feder mit hebräischen, deutschen, jiddischen und englischen Texten — geistreich, meshugge, schamlos — und ziemlich witzig. Mit Andi Arnold, Jan Eschke, Pit Holzapfel, Christian Schantz und Günther Basmann Donnerstag, 2. März 2023, 20.30 Uhr, Ebersberg, altes kino Karten und Infos HIER.
Meine Beiträge sind kostenfrei zugänglich — was nicht heißt, dass sie (mich) nichts kosten. Wenn Du meine Arbeit unterstützen möchstest, kannst Du dies schon ab 3 € monatlich über STEADY machen. Das freut mich riesig und wenn Viele mitmachen, macht das für mich einen großen Unterschied. Bitte sage es auch Deinen Freunden und Freundinnen weiter! Danke.
Der 30. November 1939 war ein Donnerstag, vermutlich ein ebenso trüber grauer Tag in Deutschland wie die meisten Tage in dieser Adventszeit. Für meinen Großvater Julius war es einer der trübsten Tage seines Lebens — so jedenfalls stelle ich mir den Tag seiner Deportation von seiner Heimatstadt Chemnitz in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin vor. Großvater Julius war damals 61 Jahre alt, fast auf den Tag genau so alt, wie ich jetzt bin. Wie würde ich mich heute verhalten, frage ich mich, wenn ich gezwungen wäre, in einen Viehwagon einzusteigen, ohne Angabe von vernünftigen Gründen, ohne höfliche Aufforderung? Ein Viehwagon ohne Sitzplätze, ohne Fahrkarte, ohne WC und mit lauter anderen Menschen, die vermutlich genauso verängstigt wären wie ich, manche gebrechlich, manche mit kleinen Kindern, manche erzürnt, manche verzweifelt, weil sie bereits eine Ahnung davon hätten, was sie erwarten würde. Und doch ist wohl nichts schwieriger als das zu erahnen, was man unter keinen Umständen erahnen will, was man sich nicht vorstellen möchte und nicht vorzustellen vermag, weil das Grausamste und Schrecklichste zumindest in gesunden Köpfen undenkbar ist und weil der Mensch doch immer mehr dazu neigt, sich ein gutes Ende vorzustellen als ein schlechtes.
Mein Großvater erlitt ein schreckliches Ende. Er erkrankte schwer — das ist gewiß — und wurde höchstwahrscheinlich am großen Richtplatz des KZs Sachsenhausen erhängt. So wurde es uns von meinem Vater Rolf erzählt, den sein Vater Julius im Sommer 1937 noch nach Palästina brachte und ihm damit das Leben rettete. In den vielen Jahren, in denen ich nun schon in Deutschland lebe, ist es mir erst an einem 9. November vor etwa zehn Jahren das erste Mal gelungen, das Konzetrationslager Sachsenhausen zu besuchen, und auch nur, weil meine Freunde und Mitmusiker mich begleiteten und mir beistanden, als ich im Angesicht des Galgenortes nicht mehr selbst stehen konnte. Auf dem riesigen, menschenleeren, novembergrauen Apellplatz erschienen mir die tausenden Ausgemergelten in ihren graugestreiften Anzügen, wie sie gezwungen waren, dem langsamen, qualvollen Tod ihres Mithäftlings zuzusehen.
Das KZ Sachsenhausen in Oranienburg liegt eine Dreiviertelstunde Autofahrt nördlich vom Zentrum Berlins entfernt. In der wiedervereinten deutschen Hauptstadt, die auch die Hauptstadt meines Großvaters Julius, des Deutschen, des Juden Julius Sommerfeld war, gibt es mittlerweile ein großes Holocaust-Mahnmal, ein Jüdisches Museum, zahlreiche Gedenkstätten und seit einiger Zeit einen staatlichen Antisemitismusbeauftragten. Er und seine Länder-Kollegen verbringen leider (und vermutlich auf Druck von israelischer Seite und seitens des jüdischen Zentralrats — aber das ist nur eine Vermutung!) viel Zeit damit, Menschen in Deutschland des Antisemitismus zu bezichtigen und sie damit zu diffamieren. Es trifft nicht nur Aktivisten aus der Palästina-Solidaritäts-Szene; es trifft auch Wissenschaftler, Kulturbetriebe, Kolleginnen und Kollegen aus der Kunst- und Kulturszene. Die meisten von ihnen haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten der deutschen Gedenkkultur auf die Beine geholfen, waren federführend in der Antisemitismusforschung wie der ehemalige Leiter des Berliner Jüdischen Museums Prof. Peter Schäfer, oder haben Seite an Seite mit jüdischen Menschen für deren Rechte und Gedenken gekämpft. Bisher fand die Diffamierung dieser Menschen einzig und allein deswegen statt, weil sie — egal ob laut oder leise — Kritik an israelischer Regierungs- und Besatzungspolitik üben oder auch nur im Verdacht stehen, Kontakte (!) zu Kritikern der israelischen Politik oder zur BDS-Bewegung zu unterhalten. Mittlerweile genügt schon die Inszenierung eines Theaterstückes, in dem Figuren (!) Dinge sagen, die bei Juden unangenehm aufstoßen könnten. Selbst wenn solche Theaterfiguren von Israelis und Palästinensern gemeinsam entwickelt und geschrieben wurden. Selbst wenn der libanesisch-kanadische Autor Wajdi Mouawad der erste Preisträger des europäischen Dramatikerpreises ist. Dieser Preis, der „Ein Zeichen für Offenheit, Toleranz und die Kunstfreiheit“ sein soll, wird im Jahr darauf der altehrwürdigen britischen Dramatikerin Carly Churchill aberkannt. Auch hier haben vermeintliche Antisemitismusjäger alles daran gesetzt, Caryl Churchill zu diffamieren mit Verweis auf ein kurzes, aber sehr intensives Theaterstück, das die Britin als Reaktion auf den Gaza-Krieg 2008/09 schrieb (ganz unten mehr dazu). All diese Theatermacher, Autoren, Regisseure können von Jetzt auf Gleich im Abseits stehen, belegt mit einer der schrecklichsten Stigmata, mit denen man Menschen hierzulande beschuldigen kann. Und zwar zu Recht, wenn — und nur wenn — wirklich und wirkmächtig Antisemitismus stattfindet und sich als Hass und Gewalt gegen Juden richtet — denn das ist ein rassistisches Verbrechen und muss geahndet, bestraft und bekämpft werden.
Aber wer bitte glaubt ernsthaft, dass auch nur ein µ an Hass gegen Juden durch derart absurde Diffamierungen eingegrenzt oder gar beendet wird? Wer bitte kümmert sich konsequent um den echten, den gefährlichen, den nachweislich rechten und zu Gewalt führenden Antisemistismus, der zweifelsohne unter uns wabert? Wer glaubt daran, dass durch diese schamlose, ehrverletzende Hexenjagd, die nicht einmal vor uns Juden Halt macht, sobald wir uns für die Rechte von Palästinensern einsetzen, sich etwas zum Besseren wendet in Sachen Rassismus gegen Juden?! Die Wahrheit ist, dass das Gegenteil der Fall ist. Nicht selten habe ich in letzter Zeit Sätze wie diesen zu hören bekommen: „Da muss man sich nicht wundern, dass die Juden immer unbeliebter werden, wenn die mit so einem Druck arbeiten und alles in Deutschland durchgesetzt bekommen, wie es ihnen passt!“ Von so einer Haltung sind es nur noch wenige Schritte bis hin zur (wirklich antisemitischen) Vorstellung der „jüdischen Weltverschwörung“. In wessen Interesse ist das?, frage ich mich. Warum diese Hysterie?
Meine einzige Erklärung ist, dass unter allen Umständen verhindert werden soll, dass über die realen Verhältnisse in Israel und Palästina gesprochen werden soll. Besonders für Deutsche ist es schwer zu verdauen, dass Israels völkerrechtswidrige, mittlerweile 55-jährige Besatzung schlimme Verbrechen begeht. Aber können wir hier die Augen davor verschließen, dass schon die Staatsgründer von einem ‚Groß-Israel‘ gesprochen haben, dass (leider auch) linke Regierungen den Siedlungsbau vorangetrieben haben und dass neuerdings eine rechtsradikale Regierung unter Beteiligung offen bekennender Faschisten Israels Geschicke lenkt? Werden Scholz, Habek, Baerbock und andere deutsche Politiker*innen sich mit einem künftigen Minister Ben-Gvir händeschüttelnd ablichten lassen, der der Steigbügelhalter für den Mord an Rabin war und sich dessen auch noch rühmt? Mir scheint, die Regierungsbildung in Israel wird in unseren Medien diskret weggeatmet, in der Hoffnung, dass dieses üble Kapitel nur ein böser Traum ist, aus dem wir bald kopfschüttelnd erwachen. Aber ich fürchte, dass alles eher schlimmer kommt, und ich bin mit meiner Meinung nicht allein. Einige jüdische und israelische Stimmen haben sich bereits zu Wort gemeldet, wie Ilan Pappe im Palästina-Portal, das im Übrigen immer wieder einen Online-Besuch wert ist. Oder Meron Mendel in der SZ, und natürlich immer wieder Gideon Levy in Haaretz. Ganz besonders möchte ich den Artikel meines Freundes Yahav Zohar empfehlen, der seit über einem Jahrzehnt meine Kleingruppen-Reisen in Israel und Palästina mitkonzipiert und begleitet (für Nicht-Englisch-Leser empfehle ich die Übersetzungssoftware deepl.com).
Während also in den vergangenen Wochen in Israel die rechtsextremste Regierung aller Zeiten gewählt wurde, während israelische Streitkräfte und Siedler seit Jahresbeginn mehr als 130 Palästinenser in der gesamten Westbank getötet haben, darunter mehr als 30 Kinder, und damit 2022 das tödlichste Jahr für Palästinenser seit Beginn der Aufzeichnungen 2005 war; während Mitglieder der neuen Regierung Pogrome sogar innerhalb Israels aufheizen und junge Israelis skandieren, Ben-Gvir werde schon für Ordnung sorgen und die Israelis würden jetzt allen anderen zeigen, wer „der Herr im Hause“ sei — während all das geschieht, geht in Deutschland die Jagd auf Künstlerinnen, Autoren, Theatermacher und andere Kreative weiter, weil sie es wagen, die Dinge beim Namen zu nennen. Oder noch nicht einmal das, wie das Beispiel des Metropol-Theaters zeigt (hier dessen Pressespiegel dazu), wie die 94-jährige jüdisch-kanadische Natalie Zemon Davis in ihrem Gastbeitrag in der SZ brilliant darlegt. Davis fungierte als historische Beraterin bei der Stückentwicklung.
Viel können wir nicht tun, außer unsere Stimmen zu erheben, unser Wissen zu verbreiten und andere zum Selberdenken zu motivieren. Genau das wollten wir von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost mit unserer Video-Lesung von Seven Jewish Children bewirken. Bitte nimm Dir die Zeit und schaue Dir unsere Lesung an; wir freuen uns natürlich auch über Kommentare.
Und zum Schluß noch zwei Geschenkideen: Ab dem 10.12. gibt es unsere brandneue DVD JIDDISCHE WEIHNACHT — live aus dem Prinzregententheater, die Du noch rechtzeitig vor den Feiertagen HIER (für 22 € zzgl. 3 € Versand) bestellen kannst. Und wenn Dir meine Arbeit gefällt, kannst Du ab sofort Geschenk-Mitgliedschaften bei Steady verschenken und damit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Du verbreitest meinen Newsletter; Du schenkst und lässt andere an Hintergrundwissen zu Israel und Palästina teilhaben; und Du sicherst den Fortbestand meiner Arbeit durch Deine finanzielle Unterstützung. Natürlich kannst Du auch gerne selbst Steady-Mitglied werden und auf jeden Fall diesen Newsletter weiterleiten.