Kontext ist alles

Hallo Leute und Danke für die vielen Rückmeldungen zu meinem letzten Blog-Eintrag, die ich per Mail bekommen habe! Bitte antwortet beim nächsten Mal über die Website. Ihr könnt dort direkt oben unter der Schlagzeile auf KOMMENTARE klicken, nach unten scrollen und Eure Meinung öffentlich kundtun. Viele haben leider mein Video nicht sehen können im Newsletter, daher hier nochmal der Link dazu:
Nirits Kommentar zu den Vorgängen an Berlins Kunsthochschule

Es geht darum, dass nicht-jüdische Deutsche glauben, uns jüdischen Deutschen und Israelis vorschreiben zu müssen, wie wir uns mit unserer jüdisch-israelischen Geschichte auseinanderzusetzen haben: Pro- oder nicht-zionistisch, mit oder ohne historische Recherchen und so weiter. Tun wir dies nicht in ihrem Sinne, sind wir keine guten Juden. Dann entzieht man uns Gelder und boykottiert uns. Wehe, wir erwägen den Boykott von Waren aus illegalen jüdischen Besatzungssiedlungen oder wagen es, dieses Thema überhaupt nur diskutieren zu wollen! Oyoyoy! Dann ist aber Schluss mit lustig, vor allem Schluss mit der Dauerbetroffenheit, der wir Juden hier in Deutschland ansonsten ununterbrochen begegnen: „Ach was, Sie sind Jüdin?! Wie wuuunderbar!“.
Was, gute Frau, ist daran bitte „wuuunderbar“?!
Dann folgt das Schieflegen des Kopfes, Senken der Stimme, Hundeblick: „Schlimm, was Ihrem Volk hier angetan wurde. Wirklich traurig. Wobei…“, nun flüsternd, „meine Eltern hielten bei sich im Keller einen jüdischen Nachbarn versteckt!“
Bei all den angeblich versteckten Juden, von denen mir zugeflüstert wurde, dürften die Nazis kaum mehr welche gefunden haben zum Vernichten.
Neee, gute Frau, von was Sie reden ist nicht „schlimm“ und „traurig“, das ist die absolute KA-TA-STRO-PHE!!! Das ist Ausgrenzung, Ausrottung, Völkermord, Sadismus, Verachtung, Qualen Qualen Qualen, Rassismus und Hass, und dieses zelluläre Trauma verfolgt uns in unseren Albträumen noch über Generationen hinweg. Was bitteschön ist daran „wuuunderbar“?! Behalten Sie bitte Ihren Betroffenheitssabber für sich und erklären Sie mir nicht, wie ich mit meiner höchstpersönlichen Vergangenheit „richtig“ umzugehen habe.

Die Erinnerung und der Schmerz gehören zu unserem täglich Brot, und weil manche von uns sich besonders intensiv mit dieser Vergangenheit beschäftigen, und weil wieder einige davon nicht nur zurück, sondern auch nach vorne blicken und lernen wollen, stellen wir uns viele komplexe Fragen. Wir wollen verstehen, wie es dazu kommen kann, dass Menschen Menschen derart quälen können, und wie das zu verhindern ist. Wir stellen fest, dass es viele vergleichbare Katastrophen gibt —  vergleichbar nicht in der maschinell-industriellen „deutschen Wertarbeit“-Planungs- und Tötungsmethodik, aber in vielerlei struktureller, geistiger, politischer und emotionaler Hinsicht. Menschen haben wohl seit jeher versucht, „andersartige“ Menschen nicht neben sich existieren zu lassen. Das mag steinzeitlich begründet verständlich sein; aber in unserer heutigen Welt sollten wir es doch möglich machen, nebeneinander her zu existieren, ohne uns die Schädel einzuschlagen. Vor dem Schädeleinschlagen (oder Konzentrations- und Vernichtungslager einrichten) kommt ja noch eine ganze Reihe von Schrecklichkeiten wie Be-Fremden, Ausgrenzen, Entrechten, Enteignen. Wenn das dann auch noch mit staatlichen Mitteln gefördert und juristisch untermauert wird, sprechen wir von Faschismus.

Aber so weit ist es ja bei uns zum Glück nicht, neinnein. Und überhaupt nirgendwo in unserer WWW, unserer Wunderbaren Westlichen Wertegemeinschaft. Und wenn doch mal, nur ansatzweise, vielleicht ein klitzekleines bisschen Faschohauch… naja, schließlich gibt es Interessen. Und Zwänge. Das muss man doch verstehen. Mhmm.

An dieser Stelle darf ich mal auf Mely Kiyak verweisen, deren GORKI Theaterkolumne ich regelmäßig lese und Dir sehr ans Herz lege, dies ebenfalls zu tun. Sie bringt das gesellschaftliche Geschehen aus Sicht einer ‚Deutschen mit Migrationshintergrund‘ (die ist auch so eine wie ich) auf den Punkt. HIER zum Thema Zwänge und Interessen, HIER ihr neuester Beitrag, der noch besser passt zum Thema „wie konnte/kann Faschismus entstehen“.

Jetzt noch ein paar Links, die beitragen könnten, all das Gesagte in einen Kontext zu setzen. Denn ohne Kontext sind Aussagen, Behauptungen, selbst Daten und Fakten nicht einzuordnen und zu verstehen. Ich wünsche eine anregende Lektüre!

Herzlichst,

Israel / Palästina:
Online-Tour durch Gaza (Englisch): Live am kommenden Dienstag, 27.10., 19 Uhr, mit der Menschenrechtsorganisation GISHA und meinen israelischen Reiseleiterkollegen von GREEN OLIVE TOURS.
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich.

Rundgang durch Lifta: Yahav Zohar führt in diesem Video durch ein uraltes, halb verfallenes palästinensisches Dorf bei Jerusalem (4,5 min.)

Wieland Hoban, deutsch-englischer Komponist und Übersetzer und Mitstreiter bei der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, schreibt eine dreiteilige Abhandlung über Juden, Deutschland und Antisemitismus. Hier Teil I: Making Room for Jews und Teil II: Compensating for the Holocaust. (ebenfalls englisch; wer den gesamten Text gut verständlich übersetzt haben will: Einfach Absatzweise in deepl.com kopieren. Geht einfach und ist kostenfrei)

Dieser NDR-Beitrag macht die Brücke zwischen den genannten Themen verständlich: Es geht um einen Nebenkläger in Halle. (6 min Video)

Kultur:
Am morgigen Samstag, 24. Oktober, haben Kulturschaffende in München eine Veranstaltung organisiert, bei der bessere Bedingungen für einen rentablen Kulturbetrieb oder andernfalls Kompensationen gefordert werden! Ich erlebe selbst, wie es ist, wenn alle Live-Auftritte praktisch auf Null heruntergefahren werden. Das ist existenzbedrohend und kann so nicht weitergehen.
Ich werde morgen natürlich dabei sein — mit Schirm, Charme und M….askerade. Kommst Du mit?

(Um-)Welt:
Percy Schmeiser, Kanadier mit bayerischen Wurzeln, und seine Frau Louise sind weltweit zu Symbolfiguren geworden im Kampf unabhängiger Bauern gegen die Gentechnik. In einer Zeit, in der sich viele davor fürchten, keine Macht gegen Politik, Großkonzerne und übermächtige Wirtschaftsdynamiken zu haben, hat ein mutiger Mann bewiesen, wie viel man auch als Einzelner bewirken kann. 
Bertram Verhaag stellt seinen Film über den Träger des Alternativen Nobelpreises, der im Alter von 89 Jahren verstorben ist, für die kommenden zwei Wochen kostenfrei auf Vimeo zur Verfügung.
Hier geht’s zum Film Percy Schmeiser — David gegen Monsanto (65 min, dt.)

Und zum Abschluss das ultimative Kontext-Thema:
Vor langer Zeit habe ich schon mal Fabian Scheidlers Buch Das Ende der Megamaschine vorgestellt. Aktueller denn je, erscheint es jetzt nach langer und sorgfältiger Übersetzungsarbeit auf Englisch und Französisch. Die Bücher enthalten ein neues Nachwort über Pandemien, die Zerstörung der Biosphäre und die Grenzen der ökonomischen Expansion.
Hier auf kontext-tv.de findest Du interessante (kurze und längere) Videos zum Buch, u.a. mit Noam Chomsky und Vandana Shiva.

Brave New Times

Wir leben nun wirklich in anderen Zeiten. Den Großteil meiner Lebenszeit habe ich (und haben viele meiner Leserinnen und Leser) in der analogen Welt verbracht, aber die große Veränderung ist nicht nur der Wechsel ins digitale Zeitalter. Das Denken ist anders geworden, vielleicht sogar das Wahrnehmen und Empfinden gegenüber vielen Dingen wie Zeit, Natur, Miteinander, Lernen, Commitment — um nur einige Stichworte zu nennen. Es geht dabei nicht um besser oder schlechter; definitiv ist heute Vieles besser, individuell und global: mehr Demokratien, Rechte von Minderheiten, der Fall der Berliner Mauer… und doch stimmt auch das Gegenteil: mehr rechte Faschisten an der Macht, mehr Armut, mehr Ungleichheit, Klimakatastrophe, militärische Aufrüstung, zunehmende Einschränkung von Freiheiten, zunehmende Unterdrückung der Rechte von Minderheiten, Kontrolle, Kontrolle … und über die Schattenseiten der Wiedervereinigung können wir dieser Tage auch viel lesen und hören. Obgleich ich persönlich den Fall der Mauer als das größte gewaltfreie Wunder einordne, das ich selbst erlebt habe, und mir viele weitere Mauerfälle wünsche.

Bleibt die Frage, wie wir die Dinge einordnen und beurteilen. Ich empfehle dabei zweierlei: Lernen und fühlen. Dazu gehört denken und erleben. Das Denken kann überall, jederzeit und nur im eigenen Kopf geschehen, das Erleben derzeit nur beschränkt im Außen, aber dafür immer einfacher im digitalen Raum… und ja, ich finde auch, dass das analog alles viel schöner ist, wenn man den Menschen leibhaftig begegnet und alles viel ‚echter‘ scheint. Aber so sind nun mal die Zeiten, also lasst uns die Gelegenheiten nutzen, die sich bieten. Sozusagen Schwerter zu Pflugscharen, Computer zu Lernorten! Wer sich ein eigenes Bild macht von den Realitäten der Welt, die Quellen sorgsam überprüft und unter Zuhilfenahme von Kunst und Kultur verschiedene Perspektiven einnimmt, kann mit Herz und Verstand durchaus zu guten, humanistisch fundierten Urteilen kommen.

Hier sind dazu meine Empfehlungen; zwischendrin gibt es — sogar in diesen Zeiten — mal was ganz, ganz LIVE.

Herzlichst,

KINO:
FRAU STERN

Hier kannst Du den Trailer ansehen: https://youtu.be/plBVPsCLEdQ

Preisgekrönter Spielfilm mit meiner Mutter als lebensmüde und lebenshungrige 90-Jährige
Mittwoch, 30. September, 20 Uhr im alten Kino, Ebersberg
sowie am
Donnerstag, 15. Oktober, 20 Uhr im Kinoclub Filmriss, Lindenberg im Allgäu
Im Anschluss stehe ich an beiden Orten für Fragen zur Verfügung.

ISRAEL/PALÄSTINA:

Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die Komplexität der Dreiecksbeziehung Deutschland – Israel – Palästina:
Die deutsche Kontroverse um BDS: Eine Einordnung

Die School of Unlearning Zionism, ein Zusammenschluss von Menschen in Deutschland aus Israel und Palästina, bietet ein spannendes Online-Programm im Oktober (English). „Unlearning Zionism begins, for us, with the recognition that knowledge is created within systems of power (…)“

Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost hat auf ihrer Website ein Statement abgegeben, das sich gegen die Umbenennung einer Berliner Straße nach Golda Meir ausspricht. Warum wir das tun und welche etwas anderen jüdischen Blickwinkel es sonst noch zum Thema Israel gibt, erfährst Du HIER.

GLOBAL:

In der Wochenzeitung der FREITAG interviewt Elsa Koester den Nachhaltigkeitsforscher Felix Ekardt:
„Die größte Gefahr für Arme ist das Klima“

Alles, was Du zu Geflüchteten wissen musst und was Du selbst tun kannst, um Katastrophen wie die von Moria verhindern zu helfen, findest Du auf der Website von PRO ASYL.

LIVE in 2020:

Nicht ganz kosher!
Konzert mit NIRIT & ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH
Freitag, 27. November, 20 Uhr, alter Speicher, Ebersberg
Kartenvorverkauf (Achtung: Zuschauerzahl begrenzt!) ab Anfang Oktober HIER.

WEIHNUKKA
Lesung und Konzert
mit Martin Umbach, Nirit & ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH
Sonntag, 20. Dezember, 16 Uhr, Kloster Seeon


Lesen, sehen, lernen

Der junge israelische Philosophie-Professor Omri Boehm aus New York bringt es in der SZ auf den Punkt: Wer Frieden in Israel will, darf über die Vertreibung der Palästinenser nicht schweigen. Diese begann bereits vor der Staatsgründung, also vor 1948, und ist des Pudels Kern in der ganzen Misere, die wir gemeinhin als „Nahost-Konflikt“ bezeichnen. Sein Beitrag in der Süddeutschen ist unbedingt lesenswert.
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Ebenso lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Text von Ilan Pappe zur Rettung bzw. Vernichtung von Dokumenten über die Nakba, also über eben jene Vertreibung der Palästinenser von 1947/48. In israelischen Archiven werden diese Dokumente in jüngster Zeit entfernt, versteckt oder vernichtet, um das palästinensische Narrativ zu delegitimieren. „Die Dokumente“, so Pappe, „sind wichtig, weil sie den systematischen Charakter der ethnischen Säuberung Palästinas von 1948 sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung offenbaren.
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Unbedingt sehenswert ist auch der Film BROKEN von Mohammed Alatar. Es geht dabei um den Prozess am Internationalen Gerichtshof, der den Bau der israelischen Separationsmauer für illegal befand.

Durch Klicken auf den Link gelangst Du zu dem Film auf Vimeo (kostenfrei)

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Der Nahostreferent von medico international Riad Othman hat einen Kommentar zur geplanten Annexion geschrieben, der die Hintergründe gut beleuchtet. Ebenfalls lesenswert.
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Wenn Du mal so richtig tief einsteigen willst in die Thematik, und wenn Du Dich fragst, was das Thema Israel/Palästina mit Kolonialismus zu tun hat, dann empfehle ich Dir diesen langen Aufsatz von Rolf Verleger. Hier bekommst Du einen fundierten Einblick in die Geschichte des sogenannten Nahost-Konflikts und seiner Ursprünge.
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Zu guter Letzt: Ab dem 10. September 2020 findet – virtuell – ein Weltfrieden-Kongress statt. Es gibt Gespräche mit Menschen, die zu ihren jeweiligen Themengebieten dem Initiator und Moderator dieses virtuellen Kongresses, Helmut Käss, Rede und Antwort stehen. Alle Interviews sind kostenfrei zugänglich und werden ab dem 10. September nach und nach online geschaltet.
Die Aufzeichnung meines Interviews wird ab dem 14.09., 16 Uhr freigeschaltet. Programm, Teilnehmende, das Gesamtpaket zu kaufen und alle weiteren Infos HIER.
Das Programmheft mit Infos zu allen einzelnen Sprecher*innen findest Du in diesem Kongress-Handbuch:

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„Einsicht in einen politischen Sachverhalt heißt nichts anderes, als die größtmögliche Übersicht über die möglichen Standorte und Standpunkte, aus denen der Sachverhalt gesehen und von denen her er beurteilt werden kann, zu gewinnen und präsent zu haben.“
Hannah Arendt

Tausende Israelis demonstrieren gegen ihre Regierung

Jeden Morgen lese ich alle politischen Artikel in Haaretz, der einzigen israelischen Tageszeitung, die noch so etwas wie echten Journalismus publiziert. Zur Zeit lese ich auch zwischendrin mal oder abends, auch andere (meist israelische) Publikationen, weil innerhalb Israels große Unruhe herrscht. Selten, muss ich gestehen, lese oder gucke ich mir deutsche Medien zu dem Thema an, weil ich zu oft erfahren musste, dass bei uns in Deutschland die Berichterstattung sehr vom regierungsnahen israelischen Narrativ gefärbt ist. Dies steht oft in krassem Gegenteil zu dem, was ich persönlich gesehen, gehört und erlebt habe in Israel und Palästina – nicht unbedingt, weil Falschaussagen getroffen werden, sondern viel mehr durch Auslassungen und durch bestimmte Wörter oder Begriffe, die verwendet werden. Wenn ich zum Beispiel lese:
„Israelische Soldaten überwältigen mutmaßlichen Terroristen“
dann assoziiere ich „die Guten (Soldaten) beschützen uns vor jemandem (Terroristen), der uns Böses antun will“. Wenn ich hingegen lese:
„Autistischer palästinensischer Mann (32) auf seinem Heimweg vom Betreuungszentrum von zwei Soldaten durch die Altstadt von Jerusalem verfolgt, überwältigt und am Boden liegend erschossen“
dann habe ich andere Assoziationen, andere Bilder im Kopf. Die muss ich hier nicht weiter erklären.

Solche Fälle wie der des erschossenen Autisten Eyad Hallaq – hier ein Bericht über den Vorfall – sind keine Ausnahme. Sie sind fast Alltag. In den vergangenen elf Jahren sind durchschnittlich 26 Palästinenser pro Monat gestorben. Das ist fast täglich ein Mensch. Darunter waren 802 Kinder. Eine detaillierte Statistik findet sich auf der Website der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem.

Warum erzähle ich das hier? Ich tue das, weil hierzulande nicht oft genug darüber gesprochen und geschrieben wird, und das ist mit ein Grund dafür, dass sich nichts zum Besseren ändert. Auch über die täglichen Proteste Tausender, die sich gegen Netanyahus Regierungspolitik richten und die von der Polizei und von rechten Gegendemonstranten teilweise mit brutaler Gewalt offen bekämpft werden, hören wir hier wenig. Ich habe mal recherchiert: Die Tagesschau berichtete dreimal darüber, einmal um 7 Uhr morgens, einmal um 16 Uhr und einmal um 5.30 Uhr. Nicht gerade Prime Time. Aus meiner Sicht hätte dieses Thema mehr Aufmerksamkeit verdient. Nicht nur, weil Deutschland eine ganz besondere Beziehung zu Israel hat, sondern weil Vieles, was in Israel passiert, so etwas wie ein Kompass ist für das, was andernorts in der Welt geschieht. Die Parallelen zu Geschehnissen in den USA sind nicht zufällig. So sagt Hagai El-Ad, Leiter von B’Tselem in seinem sehr lesenswerten Interview in Haaretz:
‚It’s Like George Floyd. We Have Our Knee on the Palestinians‘ Necks‘. (Es ist wie bei George Floyd. Wir haben unser Knie auf dem Nacken der Palästinenser.)
(Für Nicht-Abonnenten gibt es das Interview hier als PDF. Mit www.deepl.com lässt es sich recht gut verständlich übersetzen.)

Das alles erzähle und teile ich hier, weil es immer noch Menschen gibt, die von alledem keine Ahnung haben, schlimmer noch: Sie halten es für unmöglich, dass in so einem tollen jungen Staat, den sie für die ‚einzige Demokratie im Nahen Osten‘, für ein Bollwerk gegen Faschismus, Antisemitismus, Judenhass und islamischen Fanatismus im ‚Orient‘ halten und für den einzig sicheren Hafen für Juden weltweit – dass in diesem Staat solch grausame Dinge geschehen, die sich mit Völker- und Menschenrechten, mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbaren lassen. Deutschland ist diesem Staat aufgrund seiner Geschichte auf ewig verpflichtet. Aber die Verpflichtung lautet: NIE WIEDER dürfen Menschen aufgrund ihrer Ethnie, ihrer Religion oder aus welchen Gründen auch immer ausgegrenzt, unterdrückt und ihrer Grundrechte beraubt werden. Menschen. ALLE Menschen. Nie wieder darf das Menschen angetan werden. Und nie wieder Krieg. Nie wieder.
Das palästinensische Volk besteht aus Menschen, und sie erfahren tagtäglich Krieg, Unterdrückung, Ausgrenzung, Benachteiligung – mit oder ohne Annexion – durch israelisches Militär, durch israelische Gesetze, durch Israels Regierung, durch große Teile der israelischen Gesellschaft . Das muss ein Ende haben.

So oder so ähnlich sage, singe und schreibe ich das seit über anderthalb Jahrzehnten. Einige andere tun das auch, und wir ernten dafür Spott, Kritik, Ausgrenzung, wir werden dafür beleidigt, diffamiert und bedroht. Vieles hat sich in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren geändert, vor allem hat sich die Situation für die Palästinenser dramatisch verschlechtert, während es sich in Israel recht gemütlich leben lässt, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz. Wer es nicht glaubt, soll demnächst mal hinfahren und sich selbst überzeugen (sobald man uns wieder reisen lässt). Oft denke ich: Es ist doch alles gesagt, geschrieben, gefilmt, dokumentiert. Es gibt doch kaum etwas Neues zu berichten, und sobald berichtet wird, kommt der übliche Antisemitismus-Vorwurf, der lediglich als durchschaubares Mittel dient, um vom Wesentlichen abzulenken. Der bekannte Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz sieht das ähnlich, wie er hier im Deutschlandfunk sagt.

Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr mich diese Antisemitismus-Debatte langweilt. Und ermüdet. Und traurig macht. Weil nicht nur vom wesentlichen politischen Fehlverhalten des Staates Israel abgelenkt wird, sondern auch vom wirklichen, dem erstarkenden, dem wirklich gefährlichen Antisemitismus. Dieser kommt immer von rechten, rassistischen, menschenverachtenden, dummen Personen – ganz gleich ob sie ‚gebildet‘ sind oder nicht.
Das ist schändlich für Deutschland und schädlich für uns alle, die wir hier leben. Wer sich der deutschen Verantwortung Israel und der Welt gegenüber bewusst ist, sollte sich dafür einsetzen, dass die Palästinenser endlich nicht mehr für das bluten müssen, was Deutschland und Europa den Juden angetan hat.

Darum werde ich weiterhin schreiben und in Zukunft noch mehr ausgewählte Artikel und Kommentare posten. Es ist wirklich schon viel im Äther, man muss es nur finden, die Quelle überprüfen, kritisch lesen und mit den eigenen Erfahrungen abgleichen. Und weiter verbreiten. Und spätestens beim Verbreiten bist DU gefragt.

VERANSTALTUNGEN

Leider kann ich immer noch keine neuen Veranstaltungen hier ankündigen. Seit dem Lockdown gab es genau ein Konzert (1!) mit unserem ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH und Lili als Gast, vor ausverkauftem Haus im Kloster Seeon. „Ausverkauft“ sah dann so aus:

Dennoch, es war ganz wunderbar, wieder einmal Live-Musik zu machen vor echten lebendigen Menschen! Das Konzert war das Vorprogramm zum Film FRAU STERN, zu dem wir unsere Musik beitragen durften und in dem meine Mutter mit 81 Jahren ihre erste und letzte Hauptrolle spielte; drei Wochen nach der Filmpremiere starb sie. Ihr Lieblingslied Summertime spielt in dem Film eine Rolle, und bei diesem Konzert in Kloster Seeon hat ihre Enkelin, meine Tochter Lili, es gesungen. Hier ein Live-Mitschnitt davon.

Habt noch einen schönen Sommer!

LESE-EMPFEHLUNG:
Peter Beinart, jüdisch-amerikanischer Autor. Hier eine Auswahl, besonders empfehle ich Yavne.

Was kann schon ein Einzelner Mensch bewirken?

Nichts. Oder viel.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Oder: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Beides stimmt.

Diese Avaaz-Petition zeigt es. Nach wenigen Tagen haben schon über 1 Million Einzelne das hier unterschrieben:

Avaaz kann man mögen oder nicht — Fakt ist, dass Avaaz folgendes richtig beschreibt und über eine Million Menschen dazu bewegt mitzugehen:

In sechs Tagen will der israelische Premierminister sein Land um einen Großteil Palästinas vergrößern.
Palästina ist ein von den Vereinten Nationen anerkannter Staat. Doch die israelische Regierung plant die Einverleibung des besetzten Westjordanlandes in den Staat Israel.
Fast alle sind dagegen. Aber die Frage ist, ob jemand etwas dagegen unternehmen wird. Europa und andere Staaten haben genug Einfluss, um Israel zum Umdenken zu bewegen. Dazu müssen sie aber erst einen massiven Aufschrei von ihren Bürger/innen hören. Tun wir genau das.

Bitte unterschreibe auch Du HIER! Danke.

Du kannst auch an Politiker*innen oder an Deine Zeitung schreiben — die SZ z.B. hat Leserbriefe abgedruckt, die eine einhellige Meinung zur Annexion spiegeln, und titelt dazu:

Ob der drohenden Annexion von Teilen des Westjordanlandes zeigen sich Leser unzufrieden mit der Bundesregierung: Das Vorgehen Israels sei vergleichbar mit dem Russlands in der Krim und müsse daher sanktioniert werden, so der Tenor.

Wer mehr Informationen zu dem Themenkomplex haben möchte, findet hier Unterschiedliches:

Rolf Verleger: Was hat Israel mit Kolonialismus zu tun?
mit vielen interessanten historischen Hintergründen

Stephan Detjen in der FAZ: Es bestehen rechtliche Zweifel an der Antisemitismus-Strategie der Bundesregierung.

Ich freue mich auf ein Wiedersehen, entweder bei meinem Workshop Bühnenpräsenz und Wahrnehmung im Freien MusikZentrum München (Anmeldung bis Dienstag noch möglich) oder bei unserem ersten post-Corona-Konzert am 18. Juli um 20 Uhr im Kloster Seeon
LIVE – Open Air – gefolgt vom Film FRAU STERN
Kartenreservierung erforderlich unter 08624/897 201 oder unter [email protected]
Alle weiteren Infos HIER.

Bitte, werde aktiv! Das Mindeste, was Du tun kannst, ist die Avaaz-Petition mit einem Klick zu unterschreiben, das dauert keine halbe Minute. Danke — und wozu auch immer Du Dich entscheidest, sage später nicht, Du hättest nichts gewusst.

Sagt nicht, Ihr hättet nichts gewusst!

In meinem letzten Newsletter hatte ich mein Interview in der ZDF-Sendung ‚Aspekte‘ angekündigt. Ich ging davon aus, dass von den gut zwei Stunden Drehzeit vielleicht anderthalb oder zwei Minuten übrig bleiben würden. Darum hatte ich meine Antworten auf die wirklich guten Fragen der Redakteurin wohlüberlegt formuliert. Leider hat die Redaktion sich für die harmloseste meiner Aussagen entschieden, meine Sendezeit (mit O-Ton) belief sich auf gefühlte 15 Sekunden. Dabei hätte ich noch so viel mehr zu sagen zum Thema Israel, Palästina, Besatzung, Völkerrecht, Deutschlands Nahost-Politik… und nun auch Annexion. Und das tue ich nun hier. Zuvor aber noch die gute Nachricht: Am 18. Juli findet zum ersten Mal wieder ein Konzert mit dem ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH statt! Wir bieten in Kloster Seeon die musikalische Einstimmung zum Spielfilm FRAU STERN, bei dem meine Mutter als 80-Jährige debütierte.

Samstag, 18. Juli 2020, 20 Uhr
Halbinsel Kloster Seeon
NIRIT & ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH
spielen Filmmusik und mehr
ab ca. 21 Uhr: Filmvorführung
FRAU STERN
Da nur ein verringertes Platzkontingent zur Verfügung steht, bitten die Veranstalter um Reservierung unter 08624/897 201 oder unter [email protected] unter Angabe von Name, Adresse und Telefonnummer aller Personen, sofern sie nicht einem Haushalt angehören. Es können nur personalisierte Tickets abgegeben werden.
Alle weiteren Infos HIER.

Wir freuen uns SEHR auf ein leibhaftiges Wiedersehen! Und bitte nicht übersehen: Unten nach dem Bild geht’s noch weiter.

Sagt nicht, Ihr hättet nichts gewusst!

Alle Welt weiß, dass die israelische Regierung die Annexion großer Teile des palästinensischen Westjordanlandes plant. Dieser Plan soll in wenigen Wochen umgesetzt werden.

Jeder Mensch weiß: Diese Annexion verstößt gegen geltendes Völkerrecht.

Wer informiert ist, weiß: Die Annexion dient lediglich der ‘Legitimation’ der faktischen Besetzung und Beherrschung des Landes, das ein palästinensischer Staat hätte werden können. Die 53-jährige Besatzung, in Israel ‘temporärer militärischer Zustand’ genannt, soll als Ein-Staat-Lösung mit unterschiedlichen Rechten für Juden und Palästinenser legitimiert werden. 

Wer zuhört, weiß: Netanyahu verspricht, es wird keinen palästinensischen Staat und keine Bürgerrechte für Palästinenser*innen geben. Abbas sagt: An den Vereinbarungen von Oslo festhalten, mit dem Zugeständnis, Palästina zu entmilitarisieren. Aber was immer Abbas jemals angeboten oder vorgeschlagen hat, es bleibt ungehört und bedeutungslos.

Wer die Lage vor Ort kennt, weiß: Palästinenser*innen sind tagtäglich in allen Bereichen ihres Lebens extrem eingeschränkt, entrechtet, oft in Lebensgefahr. Leicht vorstellbar, wie es ihnen ergehen wird, wenn sie noch weiter zurückgedrängt werden. Kaum vorstellbar, welche Folgen das haben wird – nicht nur in Palästina, Israel und im Nahen Osten, sondern womöglich als Flächenbrand, der bis nach Europa reicht.

Wer die Geschichte kennt, weiß: Geredet wird permanent, sowohl zwischen Israelis und Palästinensern als auch in der internationalen Gemeinschaft – geschehen tut nichts (Gutes). Die palästinensische Administration arbeitet gezwungenermaßen eng mit Israel zusammen, ist von Israel abhängig, hat aber de facto nichts zu bestimmen. Ändern tut sich nichts – außer dass täglich mehr palästinensisches Land gestohlen wird und die Lebensumstände der Palästinenser*innen sich kontinuierlich verschlechtern. Die Aussichten auf einen eigenen Staat, der völkerrechtlich vorgesehen ist, schwindet zusehends.

Das alles weiß die deutsche Regierung. Doch bis auf Bekundungen von ‘Besorgnis’, bestenfalls ‘Unmut’, bleiben alle Reaktionen ohne Folgen. Doch Deutschland muss jetzt handeln! 

Ermutigend kann das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR wirken, das feststellt: der Aufruf zu Boykott von Produkten aus den sogenannten ‚Siedlungen‘ ist weder Hetze noch Hass und vor allem kein antisemitischer Akt. Es ist ein Ausdruck freier Meinungsäußerung und in einer Demokratie erwünscht. Dass Waren und Produkte aus diesen „unter Verstoß gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts“ entstandenen Siedlungen gesondert gekennzeichnet werden müssen, hat der Europäische Gerichtshof EuGH schon vor Jahren festgestellt.

Wenn die Haltung der deutschen Regierung zur geplanten Annexion folgenlos bleibt, muss sie sich fragen lassen: Unterstützt Deutschland einen Staat, der ethnische Unterschiede macht und doppelte Standards auf seine Einwohner anwendet – je nachdem, ob sie jüdisch sind oder nicht? Warum treibt Deutschland mit solch einem Staat Handel, akademischen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch? Wie weit muss israelische Politik gehen, wie viele Palästinenser*innen müssen vertrieben, inhaftiert, verletzt, getötet werden, bis Deutschland einlenkt? Wie laut müssen wir Jüdinnen und Juden in Deutschland noch werden, damit Ihr uns hört?

Wie lange es auch immer dauern mag: Sagt nicht, Ihr hättet nichts gewusst!

Bitte unterstütze die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.!

Verschiedene Aspekte…

… sind die Grundvoraussetzung für differenziertes Denken und Handeln. Erst wenn es gelingt, die Dinge von unterschiedlichen Perspektiven aus zu betrachten, können Denkmuster sich verändern, können verhärtete Fronten aufweichen, kann Festgefahrenes sich bewegen. So erhoffe ich mir, dass auch die aspekte-Sendung im ZDF am kommenden Freitag, den 22. Mai um 23 Uhr etwas beitragen kann zur Weiterentwicklung der unseligen Diskussion um vermeintlichen Antisemitismus bei Kritikern der israelischen Besatzungspolitik, unter anderem mit einem Interview-Beitrag von mir.

https://hinter-den-schlagzeilen.de/lieber-respekt-als-angstEinen Text-Beitrag zum Thema Angst und wie wir damit umgehen können habe ich als Gastautorin in diesem Mandala-Blog geschrieben (hier die Version auf Englisch und hier die Langversion auf hinter-den-schlagzeilen.de). Über Kommentare und Feedback freue ich mich — bitte auf der Website in der Kommentar-Funktion.

LILI SINGT LIVE!
Ganz besonders freue ich mich ankündigen zu können, dass meine Tochter Lili ab Donnerstag, den 21. Mai wöchentlich um 19 Uhr ein Kurzkonzert geben wird! Live aus ihrem Wohnzimmer gibt es Musik mit Motto und einem Drink: SONGS ON THE ROCKS. Dieser Link funktioniert auch, wenn Du keinen eigenen Facebook-Account hast!

Auch wer keinen Facebook-Account hat, kann durch diesen Link am Konzert teilnehmen
Auch wer keinen Facebook-Account hat, kann durch diesen Link am Konzert teilnehmen

Zum Schneiden weiterer Koch-Videos bin ich noch nicht gekommen, aber ich mache mich dran, versprochen! Gekocht, gebacken und gedreht hab ich schon jede Menge… Danke für die vielen schönen Feedbacks zu meinen kleinen Koch-Kanal-Exkursionen.

Auf bald, im virtuellen Raum, oder in geistig-seelischer Verbindung, oder vielleicht mal zufällig unter freiem Himmel, im Wald oder am See…

Herzlichst,

sprechen und spalten oder lieber SCHWEIGEN?

Der Wunsch nach einem dritten Weg

Ich rede ja gerne, aber momentan fällt es mir schwer. Es wird so viel geredet, erklärt, behauptet, mit Zahlen um sich geworfen. Alle sind Experten geworden für irgendwas — aber ich kann da nicht mitreden. Ich will auch gar nicht. Bei meinen zaghaften Versuchen, entweder mit Humor zu all den Verordnungen oder mit einer gewissen Skepsis gegenüber Impfungen eine Diskussion anzustoßen, bin ich auf etwas gestoßen, das ich bisher nur aus der Israel-Palästina-Debatte kenne: Extreme Polarisierung. Entweder Du bist für oder Du bist gegen uns. Wenn Du für die Palästinenser bist, hasst Du Israel, bist sogar Antisemit; Du spielst den Feinden in die Hände, Du bist Verräter. Etwas anderes ist nicht vorstellbar.
Es braucht immer einen langen Prozess, bis Leute, die sich für Freunde Israels halten, in einem Gespräch — wenn sie sich denn überhaupt darauf einlassen — beginnen zu begreifen, dass Du nicht gegen Israel bist, wenn Du für die Rechte der Palästinenser eintrittst (Verzeihung, Freund*innen, dass ich heute die männliche Form wähle — es flutscht besser auf der Tastatur, auch wenn ich jedes Mal „*innen“ denke. Aber halt, stopp: Auch dieser Gedanke lässt mich stocken: Darf ich heute noch ungestraft die männliche Form wählen? Bin ich jetzt Antifeministin? Unbewusst? Gleichgültig gegenüber den Errungenschaften der Emanzipation? Oder soll ich jetzt einfach mal nicht so ’nen Aufstand machen und herrgottnochmal die Gender-korrekte Form wählen? Aber wie genau ist die?! Du merkst: Es ist kompliziert).

In der Israel-Palästina-Debatte werden immer wieder Argumente wie Geschütze aufgefahren, die darauf zielen, Dich zu diskreditieren. Kommen diese Argumente von Institutionen und Amtsträgern, kannst Du davon ausgehen, dass Du mundtot gemacht werden sollst (hierzu gäbe es viel zu sagen — dazu ein andermal an anderer Stelle, oder hier). Kommen die Argumente jedoch in persönlichen Gesprächen ist es interessant zu beobachten, wie es Leuten leichter fällt, unsereins in eine Schmuddelecke zu stecken anstatt sich damit auseinander zu setzen, dass die Dinge komplexer sind als nur „dafür“ und „dagegen“, dass es viel, viel mehr gibt dazwischen. Sind es nicht die leisen Zwischentöne, die in der menschlichen Kommunikation die wesentliche Rolle spielen, die Komplexität erfahrbar machen? Diese kleinen feinen Klänge vermisse ich nicht nur im Kontext Israel/Palästina, ich vermisse sie mehr als alles andere in unserer aktuellen Welt der vergangenen Wochen. Ich leide nicht so sehr unter der Trennung von geliebten Menschen — Trennungen und große zeitliche und örtliche Entfernungen musste ich von klein auf ertragen lernen. Ich leide viel mehr unter der Polarisierung und der mit ihr einhergehenden Spaltung in gut und böse, richtig und falsch, „geht gar nicht“ und „muss unbedingt sein“. Jene zeitlich-örtliche Distanz ist eine physische und kann überwunden werden; sie ist kein social, sie ist physical distance. Die in diesen Wochen erlebte Distanz hingegen wird zunehmend unüberwindbar, sie spaltet uns, sie treibt uns voneinander weg wie Sterne nach einem kosmischen Knall, die in alle Ewigkeit auseinander driften, nur weil unsere Meinungen ideologisch eingetütet werden in „rechts“ oder „links“, „Regierungskonformist“ oder „Verschwörungstheoretiker“, „Realist“ oder „Esoteriker“.
Ich frage mich, wo unsere Debattenkultur hin ist, wo der wissenschaftliche, aber vor allem wo der gesellschaftliche Diskurs geblieben ist?! Ein Diskurs, in dem unterschiedliche Meinungen fundiert dargelegt, von allen Seiten betrachtet, immer wieder neu geordnet, gerne emotional, aber auch sachlich geführt und meinetwegen auch beurteilt werden dürfen, ohne dass die Menschen dahinter gleich verurteilt werden! Ich bin mir durchaus bewusst, dass wir inmitten einer adaptiven Herausforderung stehen, für die es keine bekannten technischen Lösungen gibt. Umso mehr erschüttert mich die Absolutheit, mit der argumentiert und geurteilt wird, als wäre alles andere — egal auf welcher Seite — alternativlos.

Immer wieder höre ich Sätze wie „Ich traue mich kaum, es zu sagen, aber…“ oder „Man muss echt aufpassen, was man sagt“. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich selbst schon bei solchen oder ähnlichen Sätzen ertappt. Ich weigere mich jedoch zu denken, dass wir unsere Meinung hierzulande nicht äußern dürfen. Und noch kann ich mühelos den Beweis antreten, dass ich das kann. Etwa so:

Israels Besatzungspolitik ist völkerrechtswidrig.
Der israelische Staat verletzt die Menschenrechte der Palästinenser seit Jahrzehnten.
In Israel herrscht eine de facto Apartheidpolitik (laut UN-Definition).
Zwischen Mittelmeer und Jordan gibt es de facto nur eine Regierungsmacht: Für Juden gestaltet sie sich demokratisch, für Palästinenser als Militärdiktatur.

Der Staat Israel spricht mitnichten für alle Juden der Welt.

All das und noch viel mehr kann ich hier sagen. Und doch: Werden Versuche unternommen, kritische Meinungsäußerungen z.B. in Bezug auf Israel und Palästina zu verhindern? Und ob! Bekomme ich dadurch Probleme? Oh ja, und wie! Aber dennoch, ich kann hier in aller www-Öffentlichkeit oder zuhause oder bei Freunden oder bei öffentlichen Veranstaltungen all das sagen und schreiben. Erst wenn diese Zeilen gelöscht werden von einer staatlichen Aufsichtsbehörde, werde ich von einer Meinungsdiktatur, von faschistoiden Regime-Strukturen sprechen. Täte ich das jetzt, würde ich allen Opfern von Diktaturen und Opfern von Faschismus nicht gerecht werden. Ebenso wie man den Opfern des Antisemitismus nicht gerecht wird, besonders den Opfern des Holocaust posthum schreiendes Unrecht geschehen lässt, wenn Kritiker des Staates Israel als Antisemiten diffamiert werden, wie aktuell im Falle von Prof. Achille Mbembe geschehen (lies dazu unbedingt den Aufruf jüdischer Wissenschaftler und Künstler, den offenen Brief der Jüdischen Stimme oder am besten Achille Mbembe selbst).

Erkenne ich jetzt schon Gefahren für unsere Demokratie, etwa durch extreme Kontrollmechanismen, die wir uns kaum auszudenken wagen und die vielleicht dadurch, dass wir verängstigt sind, viel schneller greifen? Oh ja, keine Frage. Können, dürfen wir das alles diskutieren und unterschiedliche Meinungen dazu stehen lassen, ohne Zynismus, Abwertung, Ausgrenzung, Diffamierung? Das würde ich mir wünschen, würde mir meine Meinung bilden und auch ändern wollen, auch darüber scherzen dürfen, ohne gleich befürchten zu müssen, in irgend eine Schublade gesteckt zu werden. Hinter der extremen Polarisierung, die es schon lange gibt und die in den vergangenen Wochen exponentiell gestiegen ist wie manch andere Kurve, verspüre ich vor allem eines: Angst. Angst ist eine nahezu unbezwingbare Kraft, die lähmen oder aggressiv machen kann. Ich kenne keine zuverlässige Methode, sie endgültig loszuwerden, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch die Angst einen Feind hat, vor dem sie sich fürchtet. Es ist der menschliche Wille, die menschliche Entscheidungsfähigkeit. Jedem Menschen wohnt sie inne; jedes menschliche Wesen hat die Fähigkeit, mit Willensstärke diese eine Entscheidung zu treffen:
Von Dir, Angst, lasse ich mich nicht beherrschen! Verschwinde aus meinem Leben!
Es hilft, das oft zu wiederholen, am besten laut. Es eröffnen sich völlig neue Perspektiven von Welt, vom Leben selbst, wenn nicht Angst, sondern der freie Wille die Oberhand über das eigene Denken und Handeln gewinnt.

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Nun zu meinen Empfehlungen diese Woche:
Ich bin eine große Vertreterin dessen, dass man am besten am Originalschauplatz mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört, bevor man sich eine Meinung bildet. Darum bin ich seit Jahren mit Menschen in Israel und Palästina unterwegs, lasse sie selbst sehen und mit Menschen vor Ort sprechen. Dabei werde ich von meinem Freund Yahav begleitet, einem zertifizierten israelischen Reiseleiter (der Beste!), der endlich ein erstes Video gemacht hat zu Jaffa:


Da zur Zeit das Reisen nicht so gut möglich ist, bietet das Münchner DOKFilmfestival in diesem Jahr die großartige Chance, mit 121 Filmen von zuhause aus ganz Deutschland in die Welt zu gucken.

HIER findest Du das gesamte Programm, das heute beginnt und online abrufbar ist. Aus meiner Sicht spannend: DOK.focus lasting memories beschäftigt sich mit Zeitzeug*innen des Nationalsozialismus und dem Umgang der nachfolgenden Generationen mit deren Vermächtnis. Bestimmt auch sehenswert: KOSHER BEACH aus Israel; IBRAHIM: A FATE TO DEFINE aus Palästina; und drei Filme aus dem Iran SUNLESS SHADOWS, THE UNSEEN und COPPER NOTES OF A DREAM (stimmt, ich habe eine Vorliebe für #Mittlerer und Naher Osten!).

Informationen zum Vorverkauf, den Tickets, Zahlungsmöglichkeiten und technischen Details findest Du hier.

Ich wünsche gute Unterhaltung und empfehle tiefes, lächelndes, angstbefreiendes Durchatmen!

Herzlichst,

Kultur, Politik und gutes Leben