Konzert verschoben – Katastrophe in Huwara

Zuerst die schlechte Nachricht: Leider müssen wir krankheitsbedingt unser für morgen geplantes Konzert Nicht ganz kosher! um drei Wochen verschieben.
Die gute Nachricht: Wir haben bereits einen Ersatztermin gefunden!
Das Konzert mit meinem fabelhaften ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH findet am Donnerstag, den 23. März 2023 um 20.30 Uhr im alten kino Ebersberg statt. Infos und Restkarten gibt es HIER.

Am 23.3.23 spielt NIRIT & ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH das Programm Nicht ganz kosher! in Ebersberg. Mit dabei: Andi Arnold (cl), Pit Holzapfel (tb, git), Robert Probst (p), Christian Schantz (b, git), Günther Basmann (dr)

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Aber nun zu der wirklich schlechten Nachricht. Aus gegebenem Anlass möchte ich ein paar Informationen und Hintergründe zur derzeitigen Gewalteskalation in Palästina und Israel weitergeben. In den gängigen Medien lese ich von „Ausschreitungen“. Unter „Ausschreitungen“ stelle ich mir vor, dass zum Beispiel eine Gruppe von Menschen demonstriert und dann plötzlich einige aus dieser Gruppe ausscheren, im wahrsten Sinne aus-schreiten, vielleicht weil sie wütend sind oder ungehalten, weil etwa ihre Forderungen nicht gehört werden, oder weil sie einfach gewaltbereit sind. Was aber in den vergangenen Tagen in den palästinensischen Städten Nablus und Jenin und zuletzt am vergangenen Sonntag in dem palästinenischen Dorf Huwara geschehen ist, sind geplante Gewaltaktionen seitens der israelischen Armee sowie seitens gewalthungriger, blutdürstiger bewaffneter israelischer Zivilisten, die man gemeinhin als „Siedler“ bezeichnet. Es sind jüdisch-israelische Männer, die auf den umliegenden Hügeln um die palästinensischen Städte und Dörfer herum in illegalen Siedlungen und sogenannten „Außenposten“ leben. Sie ziehen mit Stöcken, Eisenstangen, Sprengstoff, Handgranaten, Brandsätzen und einem schier grenzenlosen Hass auf alles „Arabische“ bewaffnet los, um Angst, Terror und Vernichtung zu verbreiten. Ihr Ziel deckt sich mit dem der israelischen Regierung (und diese Regierung hat keine Scheu mehr, dies klar auszusprechen): Das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan soll „judaisiert“ werden, sprich: Palästinenserfrei.

Als „Auslöser“ für die Eskalation erfahren wir hierzulande (und natürlich auch in israelischen Medien), dass ein palästinensischer „Extremist“ zwei Brüder — beide Siedler aus einem benachbarten Settlement — in einem vorbeifahrenden Auto erschossen hat. Diese Tat ist mit nichts zu entschuldigen; aber es wäre klug, sie verstehen zu wollen. Was war der Auslöser hierfür? Was hat den jungen Schützen zum Extremisten gemacht? Kann es damit zu tun haben, dass Tage zuvor elf Menschen in Nablus getötet und über hundert zum Teil schwer verletzt wurden? Hat der Täter dabei oder bei einer der zahllosen israelischen Razzien, die in den letzten Monaten zu Tausenden von Verhaftungen und weit über 100 getöteten Palästinensern im Westjordanland geführt haben, womöglich einen Freund oder Verwandten verloren? Noch einmal: Eine Bluttat ist unentschuldbar und mit nichts zu rechtfertigen. Aber wer Interesse hat, diese Gewaltspirale zu verstehen und womöglich sogar ihr Ende zu fordern, sollte Ursachen und Folgen verstehen und zu unterscheiden lernen.

Dabei können die folgenden Texte von Riad Othman (Nahostreferent bei medico international) und Chris Whitman (Büroleiter in Israel/Palästina bei medico international) helfen, ebenso Beiträge auf Middle East Eye oder dem israelischen Online-Magazin +972. Von entscheidender Bedeutung ist der Haaretz-Artikel von Gideon Levy, zeigt er doch klar auf, dass der Gewaltausbruch in Huwara durch national-religiöse Siedler ein Geplanter war, ein Pogrom auf Ansage, angeheizt durch Aussagen der rechtsradikalen Politiker Ben Gvir, Smotrich und Ben Zion. Letzterer, Vize-Bürgermeister der „Region Samaria“ (was in Wirklichkeit besetztes palästinensisches Land ist, in dem Ben Zion alias Judah Ari Gross mehr als ein Dutzend illegale Siedlungen vertritt) schrieb auf Twitter: „Die Abschreckung, die verlorengegangen ist, muss jetzt zurückkehren, es gibt keinen Platz für Gnade“ und „Huwara muss heute ausgelöscht werden“. Der israelische Finanzminister Smotrich schenkte diesem Tweet einen ‚Daumen hoch‘. In einem TV-Interview (hier auf Hebräisch) gefragt, warum er dies getan hätte, antwortet er: „Weil ich der Meinung bin, dass das Dorf Huwara ausgelöscht werden muss“. Allerdings erklärt er sich, es müsse durch die Regierung geschehen, nicht durch Bürger, die das Gesetz selbst in die Hand nähmen.

Nun frage ich Dich: Müsste es nicht einen internationalen Aufschrei geben? Werden sich deutsche Minister demnächst mit ihren israelischen Amtskollegen treffen und nach dem obligatorischen Handshake bestenfalls erklären, sie seien „besorgt“ und irgendwas von Zwei-Staaten-Lösung schwadronieren?

Ich bin sehr besorgt. Besorgt um Leib und Leben meiner palästinensischen Freunde, um ihre bare Existenz, aber auch um die Existenz und das Wohlergehen meiner israelischen Freunde und meiner Familie. Was ich bereits vor über einem Jahrzehnt vorausgeahnt habe, scheint sich jetzt zu manifestieren. Wenn es so weiter geht, geht es nicht gut aus. Weder für die Israelis, aber schon gar nicht für die Palästinenser. Es wird Zeit, dass wir auch hierzulande lautstark ein Ende der Besatzung und gleiches Recht für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan fordern.

Mit schmerzendem Herzen,

PS: Wenn Du meinen Blog gut findest, kannst Du mich durch eine Mitgliedschaft bei STEADY bereits mit einem Beitrag von 3 €/Monat unterstützen, damit ich weiterhin unabhängig schreiben und arbeiten kann. Wie das geht, was Du davon hast und wieviel mir das bedeutet, erfährst Du, wenn Du auf das Bild unten klickst. Danke.

Nicht ganz kosher!

Nicht ganz kosher! — so heißt unser Konzertprogramm, das wir nach langer Pause endlich wieder zu Gehör und Geschau bringen. Was sich hinter diesem Titel verbirgt, wie jiddisch, jüdisch, israelisch und bayerisch dieser Abend wird, das erfährst Du am

Donnerstag, den 2. März 23 um 20.30 Uhr

im alten kino in Ebersberg. Einlass ist um 19.30 Uhr. Wir freuen uns sehr darauf, wieder einige Gäste aus München, Berlin und Jerusalem dabei zu haben — mehr wird allerdings noch nicht verraten. Karten (nicht mehr allzu viele) und alle weiteren Infos gibt es HIER.

ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH: Andi, Nirit, Pit, Günther, Christian — hier in freudiger Erwartung unseres Pianisten Jan und einiger Gäste

Wir freuen uns alle sehr aufs Wiedersehen!
Herzlichst,

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Leider ist dieses Leben nicht nur von freudiger Erwartung geprägt. Ich habe gerade den Verlust eines Freundes zu beklagen, der nicht nur für mich persönlich, sondern für viele politische Wegbegleiter ein unverzichtbarer Mitstreiter war. Er fehlt uns sehr. Hier mein Nachruf, den ich für die Jüdische Stimme geschrieben habe.

Bis zum letzten …

Fassungslos, traurig und wütend sind wir über den Verlust des Hydrogeologen Clemens Messerschmid, der am 8. Februar in seiner geliebten Wahlheimat Palästina, in ‚seiner‘ Stadt Ramallah, verstorben ist. Fassungslos, weil er viel zu jung, viel zu lebendig, viel zu plötzlich und unerwartet gegangen ist; traurig, weil er eine Lücke – nein, einen Krater hinterlässt in unseren Herzen und unseren Hoffnungen, der mit Trost nicht aufzufüllen ist; und wütend, weil wir keine Gelegenheit mehr haben, ihn zu packen, zu schütteln und ihm ins Gewissen zu reden: Achte endlich mehr auf Dich und Deine Gesundheit! Lass Deine Kerze im Kampf für Recht und Gerechtigkeit für die Palästinenser nicht von beiden Seiten abbrennen! Du machst Deine Arbeit ohnehin gewissenhaft, Du musst nicht immer wieder über Deine eigenen Grenzen gehen bis zum letzten Quäntchen Energie, das Dir zur Verfügung steht.

Aber er wäre nicht Clemens Messerschmid – der sturköpfige, aufrechte, kämpferische Wasser-Experte, der überzeugte Kommunist und Marxist, der wissbegierige Analyst, der wahrheitsbesessene Wissenschaftler – wenn er nicht seine Grenzen bis zum Äußersten ausgereizt hätte. An seiner Seite war ein ruhiges Leben nicht denkbar, weder im privaten noch im beruflichen Umfeld. Ihm reichte seine Lebenszeit niemals aus. Wenn er sich eine Meinung gebildet hatte, die immer fundiert war, konnte er darüber trefflich streiten. Er ließ nicht locker, bis alle Argumente durchdiskutiert, analysiert, bis ins letzte Detail beleuchtet und mit penetranter Starrköpfigkeit auf ihren Wahrheitsgehalt hin hinterfragt waren, gerne bis tief in die Nacht hinein bei ein, zwei Gläsern Wein und ungezählten Zigaretten.

„Bis zum letzten Tropfen“ – das war der Titel seines Vortrags, den er seit Jahren im deutschsprachigen Raum vor kleinen und größeren Gruppen hielt. Als ausgewiesener Spezialist in allen Wasserfragen, explizit vertraut mit jeder Facette von Grundwasser, Regenwasser, Wasserverbrauch und vor allem der politischen Dimension der Wassernutzung in Palästina und Israel konnte Clemens Messerschmid wie kein anderer komplizierte Zusammenhänge verständlich erklären. Erst 2022 promovierte er, nachdem er 25 Jahre in Palästina geforscht und gearbeitet hatte. In seine Doktorarbeit flossen Erkenntnisse ein über die Grundwasserneubildung im palästinensischen und israelischen Grundwasserbecken im Westjordanland ein, dem sogenannten Aquifer.

Der wesentliche Kern seiner Arbeit, der eng verknüpft war mit naturwissenschaftlicher Forschung, aber weit über sie hinausging, ist die politische Interpretation seiner Erkenntnisse. Von ihm konnten wir lernen, dass in Ramallah mehr Regen fällt als in Berlin und dass der Wasser-„Mangel“ in Wirklichkeit ein „Wasser-Mythos“ ist. Wir begriffen, warum der Jordan-Fluss in der besetzten palästinensischen Westbank austrocknet, wenn die Wüste auf israelischem Staatsgebiet „zum Blühen“ gebracht wird. Er lieferte uns erweiterte Kenntnisse und Analysen zur Kolonisierung durch Wasser, was bis dato wenig erforscht war; er lehrte uns, wie die Militärbesatzung durch ihren Raub von Wasser das tägliche Leben der Besetzten bestimmte. Er analysierte wissenschaftlich präzise, geradezu mit pedantischer Akribie die systematische Diskriminierung der Palästinenser durch Israels staatlich gelenkte Wasserentnahme und prägte den Begriff der Hydro-Apartheid.

Seine letzte berufliche Herausforderung war ein Projekt in der Westbank im Auftrag der Weltbank, das 2022 begann und das er nun nicht zu Ende bringen konnte. Daneben arbeitete er immer wieder mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen, deren Stipendiat er gewesen war, beriet eine Doktorandin an der Birzeit University bei Ramallah, gab Interviews, schrieb Gutachten, besprach Podcasts und installierte Wassertanks für palästinensische Bauern. Er bot sich stets als solidarischer Unterstützer an, wie etwa im März 2019, als dem Verein Jüdische Stimme der Göttinger Friedenspreis verliehen wurde, was damals im Kontext von Kontokündigung, Diffamierung und Rückzug von Räumen und Geldern zu bundesweiten Protesten führte. Clemens kam eigens nach Göttingen angereist und brachte ein Gedicht mit, das er zu diesem Anlass verfasst hatte. Am liebsten hätte er es selbst bei der Veranstaltung vorgetragen, mit seiner tiefen, kräftigen Stimme, seinem bayerisch-grantlerischen Ton und seinem tiefgründigen, nicht selten sarkastischen Humor, der ihn ebenso auszeichnete wie seine Ernsthaftigkeit und Tiefe, ja auch pedantische Verbissenheit, mit der er berufliche und politische Themen anging.

Clemens war nicht nur der „Wassermann“ oder „Wasserschmid“, wie ihn vor allem seine palästinensischen Freunde und Weggefährten liebevoll nannten, für die er eine leuchtende Leitfigur war. Er war auch ein „Lebeschmid“. Er liebte ausschweifende Gespräche, intellektuellen Austausch und nicht zuletzt gutes Essen – am besten alles in Kombination. Dabei spielte sein großes Lebensthema – Wasser als Grundrecht, als politische Waffe und als Schlüssel zur Gerechtigkeit – in jeder Lebenssituation, in jedem noch so privaten Gespräch eine Rolle. Die Diskriminierung der Palästinenser durch Israels Wasserpolitik, diese so offensichtliche Ungerechtigkeit, machte ihn rasend und trieb ihn an, nicht locker zu lassen und seine politischen Forderungen mithilfe seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse zu untermauern und zu publizieren und sich auch zu anderen Themen der Besatzung zu äußern. Seine palästinensischen Freunde gaben ihm daher den Ehrentitel „deutscher Palästinenser“, aber eigentlich wird ihm das nicht ganz gerecht. Denn Clemens war ein echter Internationalist, dem alles Nationalistische zuwider war. Er pochte auf internationale Solidarität und träumte von einem Land zwischen Mittelmeer und Jordan (und vielleicht auch anderswo), in dem alle Menschen friedlich zusammenleben.

Seine große Liebe für diese Region begann 1997, als er 33-jährig für ein deutsch-palästinensisches Wasserprojekt der GTZ nach Palästina kam. Seine Affinität zu Israel hatte er sicher schon als Sprössling einer gut situierten, kultivierten Intellektuellenfamilie entwickelt, in die er am 5. April 1964 in München hineingeboren wurde. Sie gab ihm ein fundiertes Geschichtsbewusstsein mit und prägte seine tiefe Abscheu gegenüber dem dunklen Kapitel deutscher Nazi-Herrschaft und seiner Implikationen bis in die Gegenwart. Sein Studium begann er in München und setzte es in Aachen fort, wo er zehn Jahre blieb und von dort aus die Welt bereiste. Diese Reisen schärften seinen Blick für Kolonialismus und seine Folgen, für die strukturellen Bedingungen, die zu Armut und Ausbeutung führen, und bestärkten ihn darin, sich für die Ärmsten, die Entrechteten, die Ungehörten einzusetzen. In Palästina führten seine Forschungen zur Wassersituation dazu, dass er ein tiefes Verständnis und Mitgefühl entwickelte für das Unrecht, das den Palästinensern widerfährt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich auf ihre Seite stellte, sich für sie einsetzte – so wie er sich immer mit jenen verbunden fühlte, die unter Unterdrückung und Diskriminierung leiden. Aber er war kein Sozialromantiker: Er kritisierte auch die palästinensische Seite, ihre korrupte Führung und ihre gesellschaftlichen Strukturen.

Am 8. Februar 2023 verstarb Clemens Messerschmid nach einem Herzinfarkt in seiner Wohnung in Ramallah. Er hinterlässt seine 90-jährige Mutter, seine Schwester Dorothee, seine Lebensgefährtin Kerstin und zahllose Freunde, Gefährten, Kollegen, Genossen und Mitstreiter (-innen). Wir vermissen ihn schmerzlich – als Freund, dessen Solidarität und Unterstützung wir uns immer sicher waren; als Experten, der mit inhaltlicher Präzision unbestechlich dem Wasser und der Wahrheit auf der Spur war; als Partner und Genossen, als tief verwurzelten Linken, als kritischen, klaren Geist, der sein Leben bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Flackern seiner ausgehenden Kerze kompromisslos den Unterdrückten widmete und uns damit ein großes Vermächtnis hinterlässt.

Die Urnenbeisetzung findet demnächst in München statt.

Hier einige Links:

Bis zum letzten Tropfen – Vortrag von Dr. Clemens Messerschmid in Wien (2021)

Der ewige Kampf ums Wasser: ARD-Interview von (2017)

https://youtu.be/bE5GHfXjv44


Der Wassersektor im Gazastreifen, ein (un)lösbares Problem? (2020)

Interview: Kampf ums Wasser in Palästina (2020)

Spannende Veranstaltungen

Heute ist es nun wirklich so weit, die von mir fälschlicherweise für letzte Woche angekündigte Gesprächsrunde zwischen Charlotte Wiedemann, Bashir Bashir und Amos Goldberg findet heute Abend, 2.2.2023 um 19 Uhr im Potsdamer Einstein-Forum unter der Leitung von Susan Neiman statt. Wer gerade nicht in Potsdam ist, kann per Zoom live dabei sein. Alle Infos dazu findest Du im Link.

Der Diskussion liegt das neueste Buch von Charlotte Wiedemann DEN SCHMERZ DER ANDEREN BEGREIFEN zugrunde. Es ist ein wichtiges Werk, intelligent und tiefschürfend, Denkmuster herausfordernd und überdies von Liebe und Leidenschaft für das Menschliche im Menschen durchtränkt. Die beiden anderen Mitdiskutanten sind eigens für diese Veranstaltung aus Israel angereist. Sie haben 2019 ein umfangreiches Buch mit dem Titel THE HOLOCAUST AND THE NAKBA herausgebracht, in dem sie die beiden sehr unterschiedlichen, aber für beide Seiten zweifellos traumatischen historischen Ereignisse, Holocaust und Nakba, von verschiedenen Seiten beleuchten lassen und in Beziehung zueinander stellen. HIER kannst Du die Einleitung dazu als PDF herunterladen.

Wenn Du also heute Abend Zeit hast, und wenn Du Dich gerade wieder angesichts der grausamen Ereignisse in Israel und Palästina — und leider nicht nur dort — fragst, was es denn braucht, um diesem scheinbar endlosen „Konflikt“, dieser nie enden wollenden Spirale der Gewalt etwas entgegen zu setzen, dann empfehle ich Dir wärmstens, diesem Gespräch heute Abend beizuwohnen. Vielleicht liegt im Begreifen und infoge dessen in der Anerkennung des Schmerzes der Anderen ein Schlüssel zum Umdenken.

Auf zwei weitere Veranstaltungen in eigener Sache möchte ich Dich auch noch hinweisen: Wir spielen unser furioses, energiegeladenes, witziges und zwischendurch auch mal traurig-berührendes Konzertprogramm Nicht ganz kosher! in genau vier Wochen, am Donnerstag, den 2. März 2023 um 20.30 Uhr im alten kino in Ebersberg. Hinter dem Link verbergen sich alle weiteren Infos und der Ticket-Vorverkauf.

Außerdem freue ich mich auf eine ganze Woche El Haddawi Winterschool am Chiemsee, bei der ich als Gastdozentin in Zusammenarbeit mit dem Begründer der Winterschool Ingo Taleb Rashid meinen Beitrag zu Wahrnehmung und Bühnenpräsenz leisten und dabei sicher selbst noch viel lernen und entdecken kann. Wenn Du mitkommen möchtest auf diese Entdeckungsreise, dann melde Dich schnell noch hier an.

Noch etwas: Mein Video Say Their Names — Palästinensische Jugendliche beim Fußballspiel — gibt es jetzt auch in einer Englischen Version:

Bitte teile es weiter. Zur Stunde beklagen wir allein in diesem Jahr bereits 35 getötete Palästinenser und sechs Israelis, darunter sieben palästinensische Kinder und ein Israelisches. Das sind 41 Tote zu viel. (Details zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinensern im wöchentlichen Bericht des Palestinian Center for Human Rights.)

Herzlichst,

Wenn Dir meine Arbeit gefällt, kannst Du mich durch eine Mitgliedschaft bereits mit einem Beitrag von 3 €/Monat bei STEADY unterstützen. Wie das geht und was Du davon hast, erfährst Du HIER. Danke.

Kurz und gut, mit Korrektur

Achtung, der Fehlerteufel hat sich eingeschlichen!

Das heutige Gespräch findet zwar mit Charlotte Wiedemann statt, aber nicht in Potsdam, sondern im medico Haus in Frankfurt! Die Veranstaltung wird live gestreamt über den Youtube-Kanal von medico international. Du kannst also von zuhause aus über diesen Link live dabei sein.

Das Gespräch heute Abend findet nicht mit Bashir Bashir und Amos Goldberg, dafür aber mit Annette Knaut von der Uni Augsburg statt. Ausgangspunkt des Gesprächs ist nach wie vor Charlotte Wiedemanns neues Buch Den Schmerz der Anderen begreifen. Die beiden Frauen werden über den transkulturellen Diskurs als konkrete Utopie miteinander sprechen.

Das andere Gespräch, das ich zuvor (in aller Eile, daher fehlerhaft, sorry!) angekündigt habe, findet am Donnerstag, den 2. Februar um 19 Uhr statt. Ich werde es sicher in meinem nächsten Brief noch einmal anständig ankündigen.

Verzeiht mir bitte diese Unachtsamkeit — natürlich ist es nicht der Fehlerteufel (auch wenn der bekanntlich im Detail steckt und ich nur allzu gerne jemand anderem die Schuld für meine Fehler in die Schuhe schieben würde). Nein, in Wirklichkeit bin ich natürlich selbst und ganz alleine verantwortlich für alles, was ich Euch in meinen Briefen mitteile. Umsomehr freut es mich, dass viele von Euch so aufmerksam lesen und mir gleich Bescheid gegeben haben, dass da was nicht stimmen kann mit der heutigen Ankündigung. Ich lerne daraus, dass a) meine Briefe wahrgenommen werden, und man b) nichts, aber auch gar nichts in allergrößtenr Eile erledigen sollte — nicht mal die Ankündigung eines ganz ganz eiligen Termins. Dabei fällt mir ein Satz von Ernesto Cardenal ein, den ich vor Jahrzehnten gelesen habe:

Wenn Du es eilig hast — gehe langsam!

Ein guter Grund, wieder einmal ein Gedichtband dieses wunderbaren weisen Mannes, der es vom Priester und Revolutionär zum Kulturminister Nicaraguas gebracht hat, in die Hand zu nehmen und in diesen frostig kalten Nächten darin zu blättern. Das ist herzerwärmend und für alle gut, die das Tempo ein wenig herunterfahren wollen. Ich nehme mich selbst beim Wort, versprochen.

Herzlichst,

Kurz und gut

Allereiligst: Heute Abend, den 25. Januar 2023, 19 Uhr, gibt es einen Live Stream aus dem Einstein-Forum in Potsdam. Im Gespräch: Charlotte Wiedemann mit zwei Wissenschaftlern aus Israel/Palästina, Bashir Bashir und Amos Goldberg. Die beiden sind Herausgeber des Buches The Holocaust and the Nakba.

Das Gespräch wird auf Englisch stattfinden und von Susan Neiman, Leiterin des Einstein-Forums, moderiert. Alle Infos zu dieser Veranstaltung findest Du auf der Seite des EINSTEIN FORUMS, wo Du Dich unter (–> hier registrieren) zur Teilnahme an dem Zoom-Live-Stream anmelden kannst.

Charlotte Wiedemann hat in ihrem Buch Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis (2022) unter anderem auch über unsere Familie Sommerfeld geschrieben. Das Gespräch zwischen ihr, Bashir und Goldberg sollte im November bereits im Goethe-Institut in Tel Aviv stattfinden, wurde aber kurzfristig abgesagt.

Das heutige Gespräch, in dem es vermutlich um Verständnis, Mitgefühl, den Umgang mit Schuld …, eben den Schmerz der Anderen geht, verspricht hochinteressant und einsichtsreich zu werden. Nicht verpassen!

Herzlichst,

PS: Auch unbedingt nicht verpassen: Den Artikel von Peter Münch über Hebron in der Süddeutschen vom 24.1.:
Wie es ihnen gefällt.
Wer wissen will, wie sich die neue, rechte Regierung die Zukunft Israels vorstellt, sollte mal nach Hebron fahren

Say Their Names

Palästinensische Jugendliche* spielen Fußball in Ost-Jerusalem. Oder sie spielen nie wieder. Mein erster Kurzfilm in 2023, 4 min 10 sec.

*all ihre Geschichten und Bilder auf Mondoweiss und Israel-Palestine-Timeline

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Meine nächsten Termine

Bühnenpräsenz, Ausstrahlung, Performance – Fortgeschrittenenkurs
Tagesworkshop
Für alle, die sich auf einen Auftritt vorbereiten wollen, sei es ein Songwettbewerb, eine Hochzeitsrede oder eine Ansprache beim Neujahrsempfang in Deiner Firma. Mehr Infos unter FreiesMusikzentrum –>Kurse –> Stimme –> Performance
Sonntag, 15. Januar 2023, München, Freies Muskizentrum
(Anmeldung nur noch bis Mittwoch, 11.1., 16 Uhr möglich!)

El Haddawi International Winterschool
Workshopwoche
Die von Ingo Taleb Rashid — Tänzer, Choreograf, Regisseur und Sufi-Meister — gegründete Winterschool findet in diesem Jahr zum 22. Mal statt und ich freue mich, erstmals Teil des Dozententeams zu sein. In der besonderen Atmosphäre der Abtei Frauenwörth auf der Fraueninsel am Chiemsee befassen wir uns gemeinsam mit Bewegungskunst, Meditation, Tanz, Performance und Theater. Anmeldung bis zum 27. Januar möglich.
So, 19. 2. bis Fr, 24. 2. 2023, Fraueninsel/Chiemsee, Abtei Frauenwörth
Alle Infos unter El Haddawi International Winterschool.

Nicht ganz kosher!
Konzert mit meinem wunderbaren ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH
Persönliche Geschichten zwischen bayerischem Voralpenland, israelischer Negev-Wüste und palästinensischer Westbank; Songs und Balladen aus eigener Feder mit hebräischen, deutschen, jiddischen und englischen Texten — geistreich, meshugge, schamlos — und ziemlich witzig.
Mit Andi Arnold, Jan Eschke, Pit Holzapfel, Christian Schantz und Günther Basmann
Donnerstag, 2. März 2023, 20.30 Uhr, Ebersberg, altes kino
Karten und Infos HIER.

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Ausgewählte Artikel zur Situation in Israel-Palästina nach der jüngsten Regierungsbildung

Kahanes Traum von Susann Witt-Stahl (junge Welt)

Europas Stunde der Wahrheit ist gekommen
Gastbeitrag von Michael Sfard (Frankfurter Rundschau)

Im Zugriff des Chaos
Gastbeitrag von David Grossmann (FAZ)

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Meine Beiträge sind kostenfrei zugänglich — was nicht heißt, dass sie (mich) nichts kosten. Wenn Du meine Arbeit unterstützen möchstest, kannst Du dies schon ab 3 € monatlich über STEADY machen. Das freut mich riesig und wenn Viele mitmachen, macht das für mich einen großen Unterschied. Bitte sage es auch Deinen Freunden und Freundinnen weiter! Danke.

Herzlichst,

Sieben Jüdische Stimmen, und mehr!

Der 30. November 1939 war ein Donnerstag, vermutlich ein ebenso trüber grauer Tag in Deutschland wie die meisten Tage in dieser Adventszeit. Für meinen Großvater Julius war es einer der trübsten Tage seines Lebens — so jedenfalls stelle ich mir den Tag seiner Deportation von seiner Heimatstadt Chemnitz in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin vor. Großvater Julius war damals 61 Jahre alt, fast auf den Tag genau so alt, wie ich jetzt bin. Wie würde ich mich heute verhalten, frage ich mich, wenn ich gezwungen wäre, in einen Viehwagon einzusteigen, ohne Angabe von vernünftigen Gründen, ohne höfliche Aufforderung? Ein Viehwagon ohne Sitzplätze, ohne Fahrkarte, ohne WC und mit lauter anderen Menschen, die vermutlich genauso verängstigt wären wie ich, manche gebrechlich, manche mit kleinen Kindern, manche erzürnt, manche verzweifelt, weil sie bereits eine Ahnung davon hätten, was sie erwarten würde. Und doch ist wohl nichts schwieriger als das zu erahnen, was man unter keinen Umständen erahnen will, was man sich nicht vorstellen möchte und nicht vorzustellen vermag, weil das Grausamste und Schrecklichste zumindest in gesunden Köpfen undenkbar ist und weil der Mensch doch immer mehr dazu neigt, sich ein gutes Ende vorzustellen als ein schlechtes.

Mein Großvater erlitt ein schreckliches Ende. Er erkrankte schwer — das ist gewiß — und wurde höchstwahrscheinlich am großen Richtplatz des KZs Sachsenhausen erhängt. So wurde es uns von meinem Vater Rolf erzählt, den sein Vater Julius im Sommer 1937 noch nach Palästina brachte und ihm damit das Leben rettete. In den vielen Jahren, in denen ich nun schon in Deutschland lebe, ist es mir erst an einem 9. November vor etwa zehn Jahren das erste Mal gelungen, das Konzetrationslager Sachsenhausen zu besuchen, und auch nur, weil meine Freunde und Mitmusiker mich begleiteten und mir beistanden, als ich im Angesicht des Galgenortes nicht mehr selbst stehen konnte. Auf dem riesigen, menschenleeren, novembergrauen Apellplatz erschienen mir die tausenden Ausgemergelten in ihren graugestreiften Anzügen, wie sie gezwungen waren, dem langsamen, qualvollen Tod ihres Mithäftlings zuzusehen.

Das KZ Sachsenhausen in Oranienburg liegt eine Dreiviertelstunde Autofahrt nördlich vom Zentrum Berlins entfernt. In der wiedervereinten deutschen Hauptstadt, die auch die Hauptstadt meines Großvaters Julius, des Deutschen, des Juden Julius Sommerfeld war, gibt es mittlerweile ein großes Holocaust-Mahnmal, ein Jüdisches Museum, zahlreiche Gedenkstätten und seit einiger Zeit einen staatlichen Antisemitismusbeauftragten. Er und seine Länder-Kollegen verbringen leider (und vermutlich auf Druck von israelischer Seite und seitens des jüdischen Zentralrats — aber das ist nur eine Vermutung!) viel Zeit damit, Menschen in Deutschland des Antisemitismus zu bezichtigen und sie damit zu diffamieren. Es trifft nicht nur Aktivisten aus der Palästina-Solidaritäts-Szene; es trifft auch Wissenschaftler, Kulturbetriebe, Kolleginnen und Kollegen aus der Kunst- und Kulturszene. Die meisten von ihnen haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten der deutschen Gedenkkultur auf die Beine geholfen, waren federführend in der Antisemitismusforschung wie der ehemalige Leiter des Berliner Jüdischen Museums Prof. Peter Schäfer, oder haben Seite an Seite mit jüdischen Menschen für deren Rechte und Gedenken gekämpft. Bisher fand die Diffamierung dieser Menschen einzig und allein deswegen statt, weil sie — egal ob laut oder leise — Kritik an israelischer Regierungs- und Besatzungspolitik üben oder auch nur im Verdacht stehen, Kontakte (!) zu Kritikern der israelischen Politik oder zur BDS-Bewegung zu unterhalten. Mittlerweile genügt schon die Inszenierung eines Theaterstückes, in dem Figuren (!) Dinge sagen, die bei Juden unangenehm aufstoßen könnten. Selbst wenn solche Theaterfiguren von Israelis und Palästinensern gemeinsam entwickelt und geschrieben wurden. Selbst wenn der libanesisch-kanadische Autor Wajdi Mouawad der erste Preisträger des europäischen Dramatikerpreises ist. Dieser Preis, der „Ein Zeichen für Offenheit, Toleranz und die Kunstfreiheit“ sein soll, wird im Jahr darauf der altehrwürdigen britischen Dramatikerin Carly Churchill aberkannt. Auch hier haben vermeintliche Antisemitismusjäger alles daran gesetzt, Caryl Churchill zu diffamieren mit Verweis auf ein kurzes, aber sehr intensives Theaterstück, das die Britin als Reaktion auf den Gaza-Krieg 2008/09 schrieb (ganz unten mehr dazu). All diese Theatermacher, Autoren, Regisseure können von Jetzt auf Gleich im Abseits stehen, belegt mit einer der schrecklichsten Stigmata, mit denen man Menschen hierzulande beschuldigen kann. Und zwar zu Recht, wenn — und nur wenn — wirklich und wirkmächtig Antisemitismus stattfindet und sich als Hass und Gewalt gegen Juden richtet — denn das ist ein rassistisches Verbrechen und muss geahndet, bestraft und bekämpft werden.

Aber wer bitte glaubt ernsthaft, dass auch nur ein µ an Hass gegen Juden durch derart absurde Diffamierungen eingegrenzt oder gar beendet wird? Wer bitte kümmert sich konsequent um den echten, den gefährlichen, den nachweislich rechten und zu Gewalt führenden Antisemistismus, der zweifelsohne unter uns wabert? Wer glaubt daran, dass durch diese schamlose, ehrverletzende Hexenjagd, die nicht einmal vor uns Juden Halt macht, sobald wir uns für die Rechte von Palästinensern einsetzen, sich etwas zum Besseren wendet in Sachen Rassismus gegen Juden?! Die Wahrheit ist, dass das Gegenteil der Fall ist. Nicht selten habe ich in letzter Zeit Sätze wie diesen zu hören bekommen: „Da muss man sich nicht wundern, dass die Juden immer unbeliebter werden, wenn die mit so einem Druck arbeiten und alles in Deutschland durchgesetzt bekommen, wie es ihnen passt!“ Von so einer Haltung sind es nur noch wenige Schritte bis hin zur (wirklich antisemitischen) Vorstellung der „jüdischen Weltverschwörung“. In wessen Interesse ist das?, frage ich mich. Warum diese Hysterie?

Meine einzige Erklärung ist, dass unter allen Umständen verhindert werden soll, dass über die realen Verhältnisse in Israel und Palästina gesprochen werden soll. Besonders für Deutsche ist es schwer zu verdauen, dass Israels völkerrechtswidrige, mittlerweile 55-jährige Besatzung schlimme Verbrechen begeht. Aber können wir hier die Augen davor verschließen, dass schon die Staatsgründer von einem ‚Groß-Israel‘ gesprochen haben, dass (leider auch) linke Regierungen den Siedlungsbau vorangetrieben haben und dass neuerdings eine rechtsradikale Regierung unter Beteiligung offen bekennender Faschisten Israels Geschicke lenkt? Werden Scholz, Habek, Baerbock und andere deutsche Politiker*innen sich mit einem künftigen Minister Ben-Gvir händeschüttelnd ablichten lassen, der der Steigbügelhalter für den Mord an Rabin war und sich dessen auch noch rühmt? Mir scheint, die Regierungsbildung in Israel wird in unseren Medien diskret weggeatmet, in der Hoffnung, dass dieses üble Kapitel nur ein böser Traum ist, aus dem wir bald kopfschüttelnd erwachen. Aber ich fürchte, dass alles eher schlimmer kommt, und ich bin mit meiner Meinung nicht allein. Einige jüdische und israelische Stimmen haben sich bereits zu Wort gemeldet, wie Ilan Pappe im Palästina-Portal, das im Übrigen immer wieder einen Online-Besuch wert ist. Oder Meron Mendel in der SZ, und natürlich immer wieder Gideon Levy in Haaretz. Ganz besonders möchte ich den Artikel meines Freundes Yahav Zohar empfehlen, der seit über einem Jahrzehnt meine Kleingruppen-Reisen in Israel und Palästina mitkonzipiert und begleitet (für Nicht-Englisch-Leser empfehle ich die Übersetzungssoftware deepl.com).

Während also in den vergangenen Wochen in Israel die rechtsextremste Regierung aller Zeiten gewählt wurde, während israelische Streitkräfte und Siedler seit Jahresbeginn mehr als 130 Palästinenser in der gesamten Westbank getötet haben, darunter mehr als 30 Kinder, und damit 2022 das tödlichste Jahr für Palästinenser seit Beginn der Aufzeichnungen 2005 war; während Mitglieder der neuen Regierung Pogrome sogar innerhalb Israels aufheizen und junge Israelis skandieren, Ben-Gvir werde schon für Ordnung sorgen und die Israelis würden jetzt allen anderen zeigen, wer „der Herr im Hause“ sei — während all das geschieht, geht in Deutschland die Jagd auf Künstlerinnen, Autoren, Theatermacher und andere Kreative weiter, weil sie es wagen, die Dinge beim Namen zu nennen. Oder noch nicht einmal das, wie das Beispiel des Metropol-Theaters zeigt (hier dessen Pressespiegel dazu), wie die 94-jährige jüdisch-kanadische Natalie Zemon Davis in ihrem Gastbeitrag in der SZ brilliant darlegt. Davis fungierte als historische Beraterin bei der Stückentwicklung.

Viel können wir nicht tun, außer unsere Stimmen zu erheben, unser Wissen zu verbreiten und andere zum Selberdenken zu motivieren. Genau das wollten wir von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost mit unserer Video-Lesung von Seven Jewish Children bewirken. Bitte nimm Dir die Zeit und schaue Dir unsere Lesung an; wir freuen uns natürlich auch über Kommentare.

Und zum Schluß noch zwei Geschenkideen:
Ab dem 10.12. gibt es unsere brandneue DVD JIDDISCHE WEIHNACHT — live aus dem Prinzregententheater, die Du noch rechtzeitig vor den Feiertagen HIER (für 22 € zzgl. 3 € Versand) bestellen kannst. Und wenn Dir meine Arbeit gefällt, kannst Du ab sofort Geschenk-Mitgliedschaften bei Steady verschenken und damit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Du verbreitest meinen Newsletter; Du schenkst und lässt andere an Hintergrundwissen zu Israel und Palästina teilhaben; und Du sicherst den Fortbestand meiner Arbeit durch Deine finanzielle Unterstützung. Natürlich kannst Du auch gerne selbst Steady-Mitglied werden und auf jeden Fall diesen Newsletter weiterleiten.

Dafür und fürs lange Lesen bis hierher: DANKE!

Herzlichst,

Workshop, Konzert, Theater

Heute möchte ich Euch auf zwei eigene Veranstaltugen hinweisen. Und das Münchner Metropoltheater empfehlen.

Am kommenden Samstag, den 26. November 2022, leite ich einen Workshop, der sich mit Fakten und Mythen rund um den sogenannten ‚Nahostkonflikt‘ befasst. Wir werden gemeinsam erarbeiten, was wir wissen, was wir zu wissen glauben und welche Narrative uns begleiten. Wir lernen, unsere Quellen zu analysieren und wie historische Fakten und Mythen voneinander unterschieden werden können.

Der Workshop wird veranstaltet vom Arbeitskreis Palästina Brühl-Battir und findet in Brühl bei Köln von 16.00 bis 20.00 Uhr statt, es gibt Pausen und eine leichte Verpflegung. Der Veranstaltungsort heißt
BRÜNEO – Coworking Space
Marie-Curie-Straße 3, 50321 Brühl
Wer teilnehmen möchte, muss sich bitte hier anmelden: [email protected]

Wir freuen uns sehr, unsere in dieser Jahreszeit schon traditionelle Konzert-Lesung JIDDISCHE WEIHNACHT in der wunderschönen Alten Kirche Niederweimar bei Marburg spielen zu können — wenn auch aufgrund der Größe (bzw. Kleine) des historischen Gebäudes nur in kleiner Besetzung. Wir freuen uns auf ein lebendiges Wiedersehen am Sonntag, 4. Dezember um 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Übrigens: Wenn Du noch ein Weihnachts- oder ein Chanukka-Geschenk suchst, kannst Du unsere soeben erschienene DVD Jiddische Weihnacht mit einem LIVE-Mitschnitt von 2021 aus dem Münchner Prinzregententheater für 22 € (zzgl. 3 € Versand) HIER bestellen.
Ab einer Abnahme von 3 DVDs gibt es eine CD von unserem ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH dazu, ab 5 DVDs auch noch 10% Rabatt.

Und nun noch ein Hinweis auf die jüngsten absurden Blüten, die der neue McCarthyismus in München treibt: Im Metropoltheater wurde das international gefeierte Stück „Vögel“ ausgesetzt. Alle Infos dazu finden sich auf der Homepage des Theaters. Allen Münchnerinnen und Münchnern empfehle ich sehr, dieses Theater zu besuchen — nicht nur, um Solidarität mit dem gebeutelten Ensemble zu zeigen (das weiß gar nicht, wie ihm geschieht!), sondern vor allem, um wunderbare Inszenierungen und eine tolle Theateratmosphäre zu genießen.

Liebe Metropol-Kollegen: Lasst Euch nicht unterkriegen!!!

Herzlichst,

Nie wieder!

Nie wieder.

Mit niemandem.

Menschenrechte sind universell.

Nie wieder, mit niemandem. Ganz gleich, welcher Ethnie, Hautfarbe, Religion. Ganz gleich welcher Überzeugung und Meinung.

Mein Großvater Julius wurde ein Jahr nach der sogenannten „Reichskristallnacht“ verhaftet und kurz darauf ermordet. Sein Andenken zu ehren bedeutet, auf ein universalistisches

NIE WIEDER!

zu bestehen. NIE WIEDER. MIT NIEMANDEM.

Wehret den Anfängen!

Von Herzen,

In Israel nichts Neues

Du bist schockiert über den Ausgang der Wahlen in Israel? Ich nicht. Was mich schockiert — nein: entsetzt ist, dass es hier bei uns immer noch kein böses Erwachen gibt angesichts einer Wahl, die unzweifelhaft Rassisten und Faschisten an die Macht in Israel bringen wird. Leute, die keinen Hehl daraus machen, was ihre politischen Ziele sind: Auf jeden Fall mal kein palästinensischer Staat. Diese Leute schämen sich nicht, in aller Öffentlichkeit „Tod den Terroristen“ zu schreien und damit alle Palästinenser zu meinen, die sie grundsätzlich für Terroristen halten. Es ist ihnen übrigens prima gelungen, dieses Bild auch in deutschen Köpfen zu etablieren — oder denkt jemand beim Wort ‚Palästinenser‘ an die vielen Künstlerinnen, Künstler und Intellektuellen, die aus Palästina kommen, Hand auf Herz? Die israelischen Faschisten, die demnächst die Regierung in der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ bilden werden, nennen Palästinenser bestenfalls ‚Araber‘, womit sie ihnen ihre palästinensische Identität aberkennen. Um ihre Haltung noch deutlicher zu machen, bezeichnen sie sie auch gerne mal als ‚Tiere‘, und sie können sich großer Zustimmung dafür in der israelischen Gesellschaft erfreuen.

Das alles schockt mich nicht mehr, denn ich erlebe, dokumentiere und beschreibe seit 2009 genau diesen Verfall der israelischen Gesellschaft in die Abgründe offener Demokratiefeindlichkeit, Ethnokratie, Rassismus und faschistischer Haltungen. Ich tue dies mit wachsender Sorge um das Überleben der Palästinenser und mit größter Besorgnis um die israelische Zivilgesellschaft, die im übrigen immer weniger „zivil“ ist, weil alles Militärische mehr denn je in jede Zelle israelischen Lebens eindringt. Dass es so weit kommen würde, ist also keine Überraschung; aber es macht mich wütend, dass die Reaktionen darauf in Deutschland entweder a) schlicht wegbleiben, b) weggelacht werden wie vom Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, dem das ‚Festhalten an der Kooperation‘ mehr wert ist als alle verratenen Werte, die es einst (auch für ihn als Grünen) zu verteidigen galt, oder c) bestenfalls ein Bedauern oder verhaltene Besorgnis hervorrufen.

HAALLLOOOOO!!! Wacht mal auf, Leute in verantwortlichen Positionen in deutschen Institutionen und Amtsstuben! Was muss denn noch alles an ‚facts on the ground‘ passieren in Israel und Palästina, damit Ihr mal klare Kante zeigt und Eure ‚Freundschaft‘ an Bedingungen knüpft, die Euren eigenen Demokratie- und Menschenrechtswerten entsprechen? Euer heuchlerisches Moralgesülze könnt Ihr Euch langsam sonstwohin stecken —  Eure Moral findet problemlos ihre Anwendung bei Sanktionen gegen den russischen Staat, den Ihr immer schon mal in die Schranken weisen wolltet. Dafür nehmt Ihr sogar immense Nachteile in Kauf; aber wenn es um Israel geht, glaubt Ihr Eure historische Schuld durch ewige Freundschaftsbekundungen gegenüber dem ‚jüdischen Staat‘ tilgen zu können; dann sind Moral und Werte, dann sind Menschenrechtsverletzungen an Menschen, denen Ihr beliebig den ‚Terroristen‘-Stempel aufdrückt, kein Hinderungsgrund. Ihr werdet Euch noch wundern, wie wenig an Holocaut-Schuld Ihr durch Euren ewigen Kotau gegenüber einem Staat abarbeiten könnt, der jüdische Werte und die jahrtausendealte Diversität des Judentums selbst verrät.

Stattdessen ergötzt Ihr Euch an angeblich antisemitischen Bildern, Karikaturen, Vorträgen, Liedern, Theaterstücken und sogar Juden und Israelis (sic!), um — auf sie mit Gebrüll! — Menschen mundtot zu machen, die ihre ganze künstlerische oder wissenschaftliche Energie darauf verwenden, Mißstände und Unrecht zu benennen. Jüngstes Beispiel (neben Annie Ernaux und Caryl Churchill) ist die Absage eines Vortrags von Dr. Shir Hever, der für die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) Rhein-Neckar-Heidelberg einen Vortrag über Kinderarbeit in Palästina halten sollte. Die Veranstaltung wurde kurzfristig abgesagt, ohne Begründung. Shir schrieb mir, er wollte in seinem Vortrag u.a. über den Fall Mahmoud Sammoudi sprechen. Mahmoud fuhr regelmäßig nach Jenin im besetzten palästinensischen Westjordanland, um Wasser an vorbeifahrende Autofahrer zu verkaufen, selbst als Jenin zu einer sehr gefährlichen Stadt wurde. Am 28. September schossen israelische Soldaten vor der Muntaha Al-Hureini-Grundschule für Mädchen auf ihn, und am 10. Oktober starb er an seinen Verletzungen. Er war 12 Jahre alt.

Will man solche Geschichten in Deutschland nicht hören? Kann man der GEW nicht trauen, weil die GEW enge Beziehungen zur großen israelischen Lehrergewerkschaft Histadrut haMorim unterhält? In Jerusalem sind 40% der Schulkinder Araber, aber keines von ihnen ist in einer Schule willkommen, in der die Lehrerschaft der Histadrut haMorim angehört. Shir, der selbst in Israel zur Schule ging, schrieb: „Die Lehrer:innen haben dieses System der Apartheid nicht eingeführt, sie haben nur angesichts der Rassendiskriminierung geschwiegen und dazu beigetragen, es aufrechtzuerhalten. Die GEW toleriert den Rassismus der Histadrut haMorim, und es ist leider nicht verwunderlich, dass sie einen Vortrag über palästinensische Kinderarbeit zensiert. (…) Das Vorgehen der GEW, die sich mit der Histadrut haMorim zusammengetan und eine Veranstaltung mit einem jüdischen Redner über palästinensische Kinderarbeit abgesagt hat, kann als Unterstützung der Apartheid, als Antisemitismus und als Rassismus interpretiert werden, oder vielleicht auch als alles drei.“

Worauf wartet Ihr also noch, Ihr, die Ihr schockiert seid und immer noch hofft, dass die jüngsten Wahlen in Israel ein Ausrutscher waren? Die Ihr durch Euer Schweigen dazu beitragt, Unrecht aufrechtzuerhalten? Die Ihr nicht begreifen wollt, dass Israels Unrechtsregime nicht erst mit Netanjahu, auch nicht mit Ariel Sharon, nicht einmal mit dem Revisionisten Menachem Begin 1977 seinen Anfang nahm, sondern mit den „sozialistischen“, den „linken“, den wahrhaft „aufrechten“ Gründervätern um David Ben Gurion, mit den „guten Freiheitskämpfern“ von Palmach und Hagana, denen übrigens auch mein Vater angehörte, und von denen viele ihr Leben riskierten und opferten, um einen „araberfreien“ Staat aufzubauen. Die 1948er Vertreibung von Palästinensern und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wurde 1967 fortgesetzt — auch damals angetrieben von den Führern der „linken“ Arbeiterparteien, den Zionisten, die den Grundstein dafür legten, dass heute noch vernunftbegabte Menschen an einen jüdischen und gleichzeitig demokratischen Staat glauben — also an die Quadratur des Kreises. Immerhin hat die Vernebelung der wahren Interessen israelischer Siedlungspolitik jetzt ein Ende; den Rechtsradikalen kann man nicht vorwerfen, sie würden ihre Absichten verschleiern.

Es hätte Chancen für Frieden und Ausgleich gegeben, als es noch eine Mehrheit in der israelischen Bevölkerung gab, die an die Lippenbekenntnisse ihrer Regierungen glaubte. Heute haben die Interessen gesiegt, die immer schon die Triebfeder israelischer Politik waren. Wer das von Deutschland aus unterstützen will, kann gerne an der „unverbrüchlichen Freundschaft“ zum „jüdischen Staat“ festhalten und dementsprechend agieren. Der muss sich aber gefallen lassen, als Unterstützer(in) von Rassismus und Apartheid, von Demokratiefeindlichkeit und ja, auch von Antisemitismus bezeichnet zu werden. Denn für die vielen Abertausende von Jüdinnen und Juden weltweit, die sich — wie ich — von Israel nicht vertreten, ja sogar verraten fühlen, ist die kritiklose Unterstützung des Staates Israel in seiner heutigen Form ein Schlag ins Gesicht.

Übrigens: Es sei auch einmal daran erinnert, dass Israel eine Atommacht ist, die sich bisher jeder internationalen Kontolle entzogen hat. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmte vor wenigen Tagen mit überwältigender Mehrheit dafür, dass sich das ändert. Ob Israel sich davon beeindrucken lässt, darf bezweifelt werden.

Abstimmungsergebnis der Generalversammlung der VN an 28.10.2022

Weitere Kommentare zu den Wahlen in Israel aus israelischer und jüdischer Sicht, die Du in den üblichen Medien nicht oder selten findest:

New Israel Fund: Unsere schlimmsten Befürchungen sind wahr geworden

Israelisches Online-Magazin +972: How we will resist this new far-right government

Tony Greestein: Israel’s ‚founding principles‘ were based on ethnic cleansing

Meron Mendel, Leiter der Anne-Frank-Stiftung, in der FAZ: Sie nennen ihn König von Israel

Hanno Hauenstein interviewt Gideon Levy (Haaretz): „Die Wahl in Israel ist eine Maskerade der Demokratie“

Prof. Moshe Zuckermann im Interview mit Fritz Edlinger: Faschisten stützen Israels Regierung

Lillian Rosengarten, KZ-Überlebende, schrieb als Reaktion auf die Wahlen dieses Gedicht:

Despair of a Jew

Israel! Once a beloved dream is not a Jewish country
Not a nation state but occupier.
Racist Israel, what former incarnation of Zionism
Twists into your nationalist dream?
Have you gone mad fed by your violent history?
Victim! Paranoid nightmare for Jews only.
Have you forgotten the final solution?
Palestinians, Semite brothers now suffer your destruction.
Victims uprooted, remain locked in ghettos of despair.
Supporters! You! Eat the myth and drink the victim’s blood.
Naked victims, besieged by a collective stench
Oozing boils that smell of rot.
Untangle the crazed twisted shroud of deception!
Who amongst you walks in the land of false morality?
Joy, poetry and love gone. Orange trees tainted
With Palestinian blood spilled by criminal nightmares.
I am that Jew who weeps despair.

Und dann noch bei BIP: Prof. Dr. Norman Paech zum Bericht der UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese, die konstatiert:
„Immer ist es das Ziel gewesen, das Leben für die Menschen so unerträglich zu machen, dass sie freiwillig ihr Land verlassen.“

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Zahlen, Daten, Fakten (Quelle: UN/ OCHAOPT):

  • 2022: das bislang tödlichste Jahr seit 2006 mit 105 getöteten Palästinensern, darunter 26 Kinder — eine Steigerung um 57% im Vergleich zu 2021
  • knapp 4500 Palästinenserinnen und Palästinenser in israelischen Gefängnissen; 730 ohne Anklage und meistens auf Grund geheimer Anschuldigungen in „Administrativhaft“, darunter ca. 600 Kinder
  • Außerdem: gezielte außergerichtliche Tötungen; Entzug der Wohnerlaubnis; Deportationen, Angriffe und Abrisse von Häusern, Wohnungen und Gebäuden

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft findet übrigens, dies seien nun mal Aufgaben einer Besatzungsmacht (O-Ton).

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In eigener Sache: Wer am 26. November 2022 in der Nähe von Köln ist, kann von 16-20 Uhr an meinem Workshop Faktenseminar zur politischen Realität in Israel und Palästina teilnehmen.

Kultur, Politik und gutes Leben